Humbug der Woche – großes Gemüse

Humbug der Woche – großes Gemüse

Size matters

Sie sind der Stolz mancher Kleingärtner: Riesige Zucchini, gewaltige Kohlköpfe, Monstergurken und kindskopfgroße Kohlrabi. Man kennt auch diese Wettbewerbe um den größten Kürbis oder die dicksten Bohnen, vor allem aus den angelsächsischen Ländern. Schon Donald Duck hatte ja häufig ehrgeizige gärtnerische Ambitionen, wie wir aus den Comics der Kindheit wissen. Size matters – auch beim Gemüse. Wer den dicksten Spargel hat, glaubt das größte Ansehen zu genießen.

Dabei ist dieses Faible fürs Große oft nur ein gewaltiger Irrweg, zumindest wenn es um Gemüse geht. Denn da gilt fast immer: je jünger und kleiner, desto besser! Junge Karotten sind so süß und zart, dass man sie wunderbar roh essen kann, während ausgewachsene Monsterexemplare oft nach bitterer Erde schmecken und nur für Kochtechniken geeignet sind, wo sie lange ausgekocht werden. Noch mehr gilt das für Kohlrabi, der nur in jugendlichem Zustand köstlich und süß ist, während er im Alter schwefelig-bitter und holzig wird. Auch bei Erbsen, Pak Choi, Spinat, Salaten, Artischocken, Zwiebeln und unzähligen anderen Gemüsen ist das Kleine oft das Beste. Ausgewachsener Rhabarber enthält oft bedenklich hohe Konzentrationen von Oxalsäure und sollte nicht gegessen werden.

je kleiner, desto besser

Lustig ist das kulturelle Missverständnis über den Prestigewert von Größe bei den Kapern. Diese Blütenknospen eines dornigen Strauches werden besonders auf der Mittelmeerinsel Salina und in Südfrankreich kultiviert. Dort gilt: je kleiner desto besser und teurer! Nonpareilles werden die allerkleinsten genannt – „ohnegleichen“. Die großen Exemplare gehen in den Export, auch in die deutschsprachigen Länder, wo man im Supermarkt gern zu den ordentlich großen Kapern, oder gleich zu Kapernbeeren greift. Im Vergleich zu den stecknadelkopfgroßen nonpareilles ist das derbes Zeug!

Nicht nur das Aroma wird bei vielen ausgewachsenen Gemüsen deutlich schlechter, sie können sogar regelrechte Giftstoffe entwickeln. Aus Deutschland ist ein Fall von tödlicher Vergiftung durch eine Riesen-Zucchini bekannt geworden: http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/heidenheim-mann-stirbt-durch-zucchini-mahlzeit-a-1049025.html

Ursprünglich waren die Vorfahren unserer heutigen Gemüsesorten alle mehr oder weniger giftig. Pflanzen wehren sich gegen Fressfeinde indem sie Stoffe entwickeln, die bitter, adstringierend oder scharf schmecken und dem Esser Beschwerden verursachen, die er sich garantiert merkt, um die betreffende Pflanze in Zukunft zu meiden. Das kann von Völlegefühl und Bauchweh über halluzinogene Horrortrips bis zur tödlichen Vergiftung reichen. In unserer heutigen Landwirtschaft sind diese fatalen Stoffe weitgehend weggezüchtet worden, aber gerade in der privaten Gärtnerei können sich Pflanzen unter Umständen auch genetisch zurück entwickeln. Stress wie Hitze und Dürre können zusätzlich dazu beitragen, dass die Konzentration von Abwehrstoffen erheblich steigt, besonders wenn man das Gemüse lange auswachsen lässt. Gemüse wehrt sich immer dagegen, gegessen zu werden, seien es Blätter, Knospen, Wurzeln oder Knollen.

es gibt zwar unreifes Obst, aber kein unreifes Gemüse

Bei Obst und Beeren ist das anders, denn viele reife Früchte wollen gegessen werden, damit die Samen weit verbreitet werden, um nicht mit der Mutterpflanze in Konkurrenz zu treten. Das Transportmittel ist dabei der Verdauungstrakt des “Fressfreundes”, wie man in diesem Fall sagen könnte. Das heißt, die Pflanze schaltet von Abwehr auf Kooperation um, und will, dass ihre Früchte zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt gegessen werden. Diesen Zeitpunkt nennt man Reife. Er dauert meist nur sehr kurz und wird häufig von Signalfarben und köstlichen Düften signalisiert, damit möglichst viele Fressfreunde angelockt werden. Davor – im unreifen Zustand – produzieren die selben Früchte ebenfalls Abwehrstoffe, die zu Unpässlichkeiten führen, damit sie nicht vor der Zeit zerstört werden. Aber im Augenblick der Reife vollzieht sich der Wechsel von Abwehrstoffen zu Lockstoffen, die mit süßer und bekömmlicher Nahrung die “Dienstleistung” des Samentransports belohnen.

Im Gegensatz dazu gibt es bei Gemüse keinerlei Zeitpunkt der Reife. Ein Blatt, eine Knolle, ein Stängel oder eine Wurzel wachsen mit der Zeit, werden aber nicht “reifer”. Deshalb kann man auch nicht von unreifem Gemüse sprechen, so wie beim Obst. Junges Gemüse ist bestens für den Verzehr geeignet, junges Obst nicht (außer in Ausnahmefällen als Säuerungsmittel: unreife Trauben –> verjus, oder unreife Mango –> amchur). Aber unreifes Gemüse gibt es nicht.

Lässt man Gemüse lange auswachsen, dann kommt es oft zu einer Konzentration der Abwehrstoffe, die man meist am bitteren Geschmack erkennt. Wird dieser überwürzt oder ignoriert, kann das zu mehr oder weniger üblen Folgen führen.

Versuchen Sie also beim nächsten Einkauf, die kleinsten Zucchini, Kohlrabi und Pak Choi, die jüngsten Artischocken und Spinatblätter, sowie die winzigsten Kapern zu bekommen. Sie sind nicht nur bekömmlicher, sondern schmecken auch viel besser – was auch logisch ist, denn schließlich ist unser Geschmackssensorium dazu da, Bekömmlichkeit zu erschmecken!

Es lebe das junge Gemüse!

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