In der österreichischen Donaumetropole wurde ein ungarisches Speisekonzept zu seiner essenziellen Perfektion entwickelt – nicht durch Verfeinern, sondern durch das Weglassen alles Überflüssigen.

Natürlich stammt das Gulasch aus Ungarn. Der namensgebende gulyás war einst der Cowboy der ungarischen Tiefebene, wo seit langer Zeit riesige Rinderherden gehalten wurden. Und ein gulyás hus war sein im Kessel gekochter Rindfleischeintopf  – allerdings noch ohne Paprika, denn der war in Mitteleuropa völlig unbekannt.

Erst nach der Eroberung durch die Osmanen kam der feuerrote Pfeffer-Ersatz völlig indirekt aus Amerika nach Ungarn. Nach dem Abzug der Türken im Jahr 1683 wurden die anfangs ausnahmslos scharfen Schoten weiter kultiviert und durch Zuchtkreuzung teilweise von ihrer Schärfe befreit. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Paprika in Ungarn schon weit verbreitet und ein Grundbestandteil der Küche.

Erst Mitte des 20. Jahrhunderts gelang die Züchtung von Paprikasorten, die völlig frei vom scharfen Capsaicin waren. Heute wird in Ungarn Paprikapulver höchster Qualität in 5 verschiedenen Schärfegraden hergestellt; wobei unsere ungarischen Kochgenossen behaupten, dass heute in Ungarn kaum mehr scharf gegessen wird.

Jedenfalls ist das suppenartige, ungarische Gulyás etwas anderes als das Wiener Saftgulasch, das eher mit dem (Rinds)-Pörkölt vergleichbar ist, aus dem es sich vermutlich entwickelt hat.

Auch die zahlreichen Gulasch-Varianten in Osteuropa, Italien, Deutschland und den USA werden anders zubereitet und sind für gestandene Wiener Gulaschpuristen oft ein Ziel von Spott und Häme – ob zu recht, das sei dahingestellt! Auch in der Stadt selbst wird über die orthodoxe Zubereitungsart leidenschaftlich gestritten.

der Arbeitsaufwand ist gering. Das einzige, was es braucht, ist Zeit – sehr viel Zeit!

Das Gulasch wurde schon im 19. Jahrhundert zur wichtigsten Speise der Wiener Wirtshaus- und Beisl-Kultur. Das Speiseformat eignet sich hervorragend für die Herstellung in großen Mengen und wird durch wiederholtes Aufwärmen immer besser. Die Zutaten sind einfach und billig, und abgesehen vom Zwiebelschneiden ist der Arbeitsaufwand gering. Das einzige, was es braucht, ist Zeit – sehr viel Zeit!

In der Gastronmie, wo es in der Küche nebenher stundenlang vor sich hin köcheln kann, ist das kein Problem. Nach der Sperrstunde wird der ganze Topf kaltgestellt und am nächsten Tag wieder aufgewärmt.

Es ist meist die einzige Speise, die es immer gibt, auch wenn die Küche eigentlich geschlossen ist. Und man bekommt sie entweder als kleines Gulasch mit drei, oder als großes Gulasch mit fünf Fleischstücken. Oder als “Würstel mit Saft” ohne Fleisch, dafür mit Frankfurtern (Wiener Würstchen) im Gulaschsaft.

Das passende Getränk dazu ist zweifelsfrei ein frisch gezapftes Bier. In dieser Kombination handelte es sich früher um das klassische Gabelfrühstück am Vormittag, besonders für die körperlich arbeitende Bevölkerung. Oder als mitternächtlicher Nüchternmacher für die trinkende Bevölkerung.

Eine Sonderform ist das Schankgulasch, das teilweise mit Bier aufgegossen wird, und zwar traditionell mit dem “Bierhansl” – so nennt man die, beim Zapfen übergelaufenen Bierreste aus der Auffangschale der Bierschank.

Gerade durch das Aufwärmen gewinnt die Speise ihre eigentliche Qualität. Ein frisch gekochtes Saftgulasch ist auch nach 5 Stunden Garzeit längst nicht fertig. Erst durch eine – mindestens eine Nacht lange – Abkühlung und das Aufwärmen am nächsten Tag mischen sich die verschiedenen Aromen zu einer perfekten Harmonie, die Zwiebelstückchen schmelzen und das Fleisch entspannt sich, sodass man es ohne Messer mit der Gabel teilen kann.

mit magerem oder gar zartem Rindfleisch funktioniert es nicht!

Das eigentlich Wichtige beim Wiener Gulasch ist der Saft, der aus geschmolzenen Zwiebeln und Gallerte besteht, die aus dem Fleisch, vor allem aber aus den Sehnen und dem Bindegewebe stammt. Deshalb wird dafür nur der Wadschunken verwendet (in Deutschland Hesse), denn dieser Unterschenkel-Muskel ist reich an dicken Sehnen und Bindegewebe.

Puristen verwenden den vorderen Wadschunken, denn der ist noch sehniger als der hintere. Wenn man dieses weichgekochte Gewebe nicht mag, kann man durchaus auch den hinteren Wadschunken verwenden; allerdings empfiehlt es sich, die vom Fleischhauer des Vertrauens weggeputzten Teile, vor allem aber die dicke Sehne am Muskelansatz, auch mitzunehmen und für einige Stunden ohne Salz oder andere Zutaten zu köcheln. Mit dem Sud kann man dann das Gulasch aufgießen und bekommt zusätzliche Gallerte in den Saft, ohne dass man die Teile mitessen muss. Für Kenner sind die butterweich geschmorten Sehnen allerdings eine Köstlichkeit!

Deshalb lautet die Regel Nummer Eins: Mit magerem oder gar zartem Rindfleisch funktioniert es nicht!

nicht anbraten und kein Salz

Regel Nummer Zwei: das Fleisch wird – im Gegensatz zu den meisten anderen Gulaschkonzepten – nicht angebraten.

Regel Nummer Drei: kein Salz! Erst ganz am Schluss, nach stundenlangem Köcheln, wird gesalzen. Dadurch gelangen viele Stoffe aus dem Fleisch in die Sauce und es wird auch weniger fasrig.

möglichst frisches Paprikapulver höchster Qualität

Regel Nummer Vier: nur möglichst frisches Paprikapulver höchster Qualität verwenden. Das erkennt man an der Farbe – frisch ist es von einem leuchtenden Rot, das fast in den Augen wehtut. Bräunliches Pulver ist meist alt und schmeckt staubig. Wir haben über unsere ungarischen Genossen hin und wieder Zugang zu feinster Ware direkt von ungarischen Produzenten. Das ist etwas anderes als die hiesige Supermarktware!

frisch gemahlen                            vor 6 Monaten im Supermarkt gekauft

das Weglassen von allem Überflüssigen

Darüber hinaus geht es um das Weglassen von allem Überflüssigen: kein Mehl oder andere Bindemittel, keine Tomaten, kein Wein, bloß keine Milchprodukte, wie Rahm oder Obers und keinerlei anderes Gemüse als Zwiebel; auch keine Kräuter und Garnierungen. Neben dem Paprika ist ein bisschen Kümmel und getrockneter Majoran erlaubt. Selbst Knoblauch oder Pfeffer sind für Puristen überflüssig. Allerdings kommt ein Spritzer Essig zum Einsatz.

heimlich ein Suppenwürfel?

Und in vielen Fällen dann noch eines der umstrittensten Produkte, die wir in der Küche kennen: der glutamat-haltige Suppenwürfel, der in Deutschland wohl “gekörnte Brühe” heißt. Für die einen der Gottseibeiuns in der Küche, für die anderen durchaus ein Mittel zur Verbesserung, wenn es in Maßen und nicht in Massen eingesetzt wird.

Oft wird es heimlich verwendet, auch von namhaften Betrieben, die für ihr Gulasch berühmt sind, die wir hier aber, wegen des verbreiteten Glutamat-Bashings nicht outen möchten. Und ja – wir selbst verwenden für ein Saftgulasch etwas Rindsuppenwürfel, wenn auch in geringer Dosierung – aber jeder, wie er mag!

Wie wir zu diesem Thema stehen, findet ihr hier: Humbug & Mumpitz – Umami gut, Glutamat böse?

In einem Detail unterscheiden wir uns allerdings von den meisten Wiener Gulaschrezepten: Wir verwenden nur 3 Teile Zwiebel auf 4 Teile Fleisch, während sonst fast immer ein Verhältnis von 1 : 1 angegeben ist. Den Tipp haben wir vom legendären Gasthaus zum Sieg, und er bewirkt, dass die Sauce nicht allzu süß wird, denn Zwiebel enthält eine Menge Zucker, der durch das sehr lange Schmoren hervortritt.

Eine durchaus ebenbürtige Qualität erreicht das Gulasch aus dem legendären Café Anzengruber beim Wiener Naschmarkt. Dieses geht eher auf Traditionen vom Balkan zurück und ist noch reduzierter (gar kein Gewürz außer Paprika, und selbst davon sehr wenig). Statt dem Wadschunken wird dafür ein Schulterscherzl (Schaufelstück, Mittelbugstück) verwendet, dessen ausgelöster gelatinöser Anteil separat geköchelt wird. Mit diesem Sud wird wie bei einem Risotto nach und nach aufgegossen. –> Anzengruber Gulasch

Wiener Saftgulasch

Zutaten für ca. 10-12 Portionen:

  • 2 kg Wadschunken vom Rind (Hesse), wenn möglich samt Bindegewebe und Sehnen
  • 1,5 kg braune Zwiebeln
  • 70 g frisches Paprikapulver edelsüß
  • 10-20 g frisches Paprikapulver scharf
  • 150 g Butterschmalz oder Schweineschmalz oder geschmacksneutrales Öl (früher oft Nierenfett!)
  • 2 TL Kümmel, grob gemörsert
  • 2 TL getrockneter Majoran
  • 2 EL milder Essig

Zubereitung:

  • falls vorhanden: Abschnitte vom Fleischhauer mitnehmen (Sehnen, Bindegewebe, Fett) und ohne Salz einige Stunden in Wasser köcheln lassen. Der Sud kann dann zum Aufgießen verwendet werden. Aber man kann auch einfach mit heißem Wasser aufgießen
  • Fleisch in Würfeln von ca. 4-5 cm Kantenlänge schneiden
  • Zwiebeln halbieren und feinblättrig schneiden
  • Kümmel grob mörsern
  • Schmalz oder Öl erhitzen, die Hälfte des Zwiebels 15 min ohne jegliche Bräunung sanft anbraten (wenn man alles auf einmal in den Topf gibt, ist es wegen zu viel Flüssigkeit eher ein Kochen statt Braten)
  • dann erst die zweite Hälfte dazugeben und mindestens eine Stunde bei geringer Hitze schmoren, dabei öfters umrühren, damit nichts anbrennt
  • die Zwiebeln sollen nicht bräunen und am Ende goldgelb, aber nicht braun sein
  • Hitze abdrehen und die beiden Paprikapulver unterrühren und ganz kurz mitschmoren. Vorsicht – nicht zu lange, denn sonst wird’s bitter, und das wars dann!
  • 2 EL milden Essig unterrühren und sofort mit 2 Liter kochendem Wasser oder kochender, salzloser Rinderbouillon aufgießen (siehe oben)
  • 30 min köcheln und erst dann das Fleisch samt Kümmel und Maloran (je 2 TL) dazugeben
  • 5 Stunden bei geringster Hitze offen köcheln. Da die Sauce leicht anbrennt, sollte man das nicht auf einer Gasflamme machen, sondern am besten auf einer großen Elektroplatte, die eine konstante Temperatur von knapp über 100ºC hält. das Gulasch sollte nur ganz sanft köcheln, keinesfalls wild Blasen schlagen!
  • Nur ab und zu mit einem Holzlöffel prüfen, ob sich die Sauce am Topfboden anlegt (auf der Elektroplatte in einem massiven Topf sollte das nicht vorkommen). Dabei nicht wild umrühren, damit die Fleischstücke nicht abfasern
  • wenn nötig, etwas heißes Wasser ergänzen
  • Je weicher das Fleisch wird, desto vorsichtiger sollte man rühren; und auch nur, wenn es unbedingt nötig ist!
  • alternativ: man kann das Gulasch auch im Backrohr schmoren: 5 Stunden mit Deckel bei etwa 100 bis 120ºC Unterhitze schmoren (kontrollieren – das Gulasch sollte nur ganz leicht köcheln)
  • wenn das Fleisch ganz weich ist (aber bevor es zerfällt) mit Salz abschmecken
  • wer mag, kann auch 1-2 Suppenwürfel zusätzlich zum Salz verwenden
  • Salz & Suppenwürfel extrem vorsichtig unterheben, damit die weichen Fleischstücke nicht zerfleddern
  • auskühlen lassen, über Nacht kalt stellen und erst am nächtsten Tag wieder aufwärmen

 

Sollte das Gulasch einmal ein bisschen anbrennen, so ist das kein Malheur, sondern kann durchaus ein gewünschter Effekt sein, der einen extra Aromakick bringt: einfach vom Boden mit dem Holzlöffel abschaben und sehr vorsichtig untermischen. Manche machen das absichtlich. Richtig schwarz anbrennen darf es allerdings nicht!

Zum Gulasch wird in Wien einfach eine frische Semmel oder ein Salzstangl gegessen.

Obwohl das nicht explizit wienerisch ist, lieben wir frisch gekochte Nockerl oder Spätzle als Beilage!