Die öffentliche Debatte um den Konsum von Fleisch und tierischen Produkten versus Veganismus hat in den letzten Jahren gehörig an Intensität zugelegt. Die Forderung nach völligem Verzicht wird immer lauter.
Es ist natürlich richtig, dass die massenindustrielle Produktion von Billigfleisch jede Menge Probleme verursacht: Tierleid, Treibhausgase, Grundwasservergiftung, verantwortungsloser Einsatz von Antibiotika und die Verbreitung resistenter Keime, grauenhafte Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt die Verschlechterung der Fleischqualität.
Ein kompletter Ausstieg aus allen tierischen Produkten ist für uns allerdings undenkbar. Die Menschen sind ausgeprägte Omnivoren und seit mehr als einer Million Jahren an den Konsum von Fleisch gewöhnt, dessen hoher Nährwert die Entwicklung zum Homo sapiens überhaupt erst ermöglicht hat. Ernährungstraditionen von zigtausend Generationen lassen sich nicht plötzlich so radikal ändern.
Problematisch ist nicht so sehr der Fleischkonsum an sich, sondern die Methoden der industriellen Massentierhaltung. Das gilt aber in gleicher Weise für die industrielle Produktion von pflanzlicher Nahrung mit ihrer zerstörerischen Wirkung auf die Umwelt (Monokulturen, Insektensterben, Grundwasserverseuchung, Verlust der artenreichen Natur, etc.)
Ohne Zweifel wäre es gut, den Fleischkonsum zu reduzieren – darauf kann man sich ja einigen.
Im Moment werden die Fleischpreise durch die großen Supermarktketten auf Kosten der Produzenten – und letztlich des Tierwohls – mit dem Druck einer fast monopolistischen Marktmacht niedrig gehalten, weil billiges Fleisch anscheinend das beste Mittel ist, um Kunden in die Supermärkte zu locken.
Deshalb sollte man Fleisch nicht im Supermarkt kaufen sondern nur Biofleisch beim Fleischhauer des Vertrauens (sofern es noch einen gibt) oder direkt ab Hof bestellen.
Extrem denaturierte Industrienahrung wird zum coolen und moralisch hoch stehenden Lifestyle-Produkt
Die Lebensmittelindustrie bedient den Trend zum Veganismus mit einer sich explosionsartig ausbreitenden Fülle an veganen Ersatzprodukten für Fleisch.
“Ersatzprodukte” – schon bei der Erwähnung dieses Wortes stellen sich bei uns Kochgenossen die Haare auf. Wer behauptet, ein veganes Schnitzel oder Würstel sei genauso gut wie die fleischlichen Originale, hat nach unserer Meinung seine kulinarischen Sinne nicht beisammen. Auf Facebook & Co. wimmelt es von Werbung für Schnitzel, Faschiertes, Bratwurst, Buletten, Cevapcici und Streichwurst – alles auf veganer Basis, oft als Pulver in Beuteln, das man dann nur noch mit Wasser mischen und braten muss.
Damit wir uns nicht falsch verstehen – wir haben überhaupt nichts gegen fleischlose Speisen; in vielen Kochkulturen gibt es großartige vegetarische und vegane Kochkonzepte – aber niemals würden wir auf die Idee kommen, Fleisch durch Pflanzliches imitieren zu wollen; das kann nur schief gehen oder allenfalls bei kulinarischem Banausentum Anklang finden – was allerdings überhaupt nicht ausschließt, dass das ein Bomben-Geschäft wird oder ohnehin schon längst ist!
Was vor kurzem noch als Schummel- oder Analogkäse skandalisiert wurde, gilt heute als trendiges “Veggie”, das mithilft, die Welt zu retten. Extrem denaturierte Industrienahrung wird zum coolen und moralisch hoch stehenden Lifestyle-Produkt.
Es ist halt die Frage, ob man sich von der Industrie mit Nahrung bedienen lässt und Veggie-Burger oder veganen Leberkäs cool findet, oder ob man die Dinge selbst in die Hand nimmt, und erkundet, welche exzellenten, tradierten Kochformate es in der Welt gibt, die ohne Fleisch auskommen, oder – für uns noch interessanter – Fleisch in geringer Dosierung, gleichsam als Gewürz verwenden.
Fleisch als Gewürz
Nicht absoluter Verzicht, sondern eine vernünftige Reduktion, die den Genuss nicht unterbindet, sondern – im Gegenteil – durch gute Kochkonzepte die Köstlichkeit von gebratenem Fleisch noch deutlicher zur Geltung bringt, obwohl nur ein Bruchteil einer üblichen Fleischportion zum Einsatz kommt.
Auch in unseren mitteleuropäischen Kochkulturen hat der Einsatz von Fleisch als Gewürz eine uralte Tradition – vor allem in Form von Speck – also eingesalzenem und meist geräuchertem Schweinefleisch.
Wie sich bei archäologischen Funden in Hallstatt gezeigt hat, war schon in der Bronzezeit ein Eintopf aus Gerste, Hülsenfüchten, Kräutern und etwas geräuchertem Schweinefleisch ein verbreitetes Alltagsgericht. Starke Ähnlichkeiten zu diesem Jahrtausende alten Speiseformat finden sich auch heute noch im kärntnerischen und slowenischen Ritschert (Ričet), das auch in Kroatien und Bayern bekannt ist. Auch das jüdische Scholet (oder Tscholent) verweist auf diese Tradition, wobei statt dem Schweinefleisch Rind oder Gans zum Einsatz kommt.
Freilich kann man ein Ritschert auch mit viel Fleisch zubereiten, doch wird es dadurch nicht besser, sondern verliert seine aromatische Balance. Das rauchige Fleischaroma funktioniert als Gewürz, das auch in sehr geringer Dosierung zur Geltung kommt.
Auch die hierzulande traditionelle Kombination von Hülsenfrüchten wie Linsen oder Erbsen mit Speck dürfte auf uralte Traditionen zurückgehen.
faschiertes Schweinefleisch nur teelöffelweise portioniert
Vor allem in asiatischen Kochkulturen ist das Konzept “Fleisch als Gewürz” in vielen Ausprägungen weit verbreitet. Meist wird dabei faschiertes Schweinefleisch nur teelöffelweise portioniert, wie zum Beispiel bei den vietnamesischen gedämpften Teigfladen Bánh Cuòn oder bei dem verwandten chinesischen Speiseformat Chee Cheong Fun.
Auch in der Küche der chinesischen Provinz Sichuan wird bei vielen Gerichten geröstetes Hackfleisch sehr sparsam als (optionales) Gewürz eingesetzt. Zum Beispiel bei berühmten Speisen wie Mapo Tofu, Dandan-Nudeln oder bei gebratenem Gemüse, wie Fisolen oder Melanzani.
Aber auch in anderen chinesischen Provinzen kennt man das Prinzip “Fleisch als Gewürz”. Pro Portion beträgt der Fleischanteil oft weniger als 10 Gramm.
Auch für das koreanische Nationalgericht Bibimbap wird nicht mehr als ein gehäufter Esslöffel Hackfleisch verwendet, und das auch nur optional.
Bei den meisten asiatischen Konzepten wird vorbereitetes, geröstetes Hackfleisch verwendet, was ungemein praktisch ist, denn es ist im Kühlschrank einige Tage haltbar und kann wie ein tatsächliches Gewürz über die angerichtete Speise gestreut werden.
Meist wird es mit Knoblauch und Ingwer scharf angebraten, bis es wirklich trocken und gebräunt ist. Abgelöscht wird mit Sojasauce, beziehungsweise in Südostasien mit Fischsauce.
Ein Hintergrund, auf dem die würzigen Aromen des Fleisches besonders gut zur Geltung kommen
All diese Speisekonzepte haben eines gemeinsam: Fleisch ist nicht die Hauptzutat, sondern dient als aromatische und haptische Komponente im Zusammenspiel mit veganen Lebensmitteln wie Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse, Pilze, Teig, Nudeln oder Tofu. Wenn diese Konzepte gut sind, bilden die Hauptzutaten gleichsam einen Hintergrund, eine Leinwand, auf der die würzigen Aromen des Fleisches besonders gut zur Geltung kommen; oft viel reizvoller, als würde man nur das schiere Fleisch essen.
Man muss sich vor Augen halten, dass Fleisch seit Jahrtausenden ein sehr teures Prestigeobjekt war, das fast nur den Oberschichten zugänglich war – und das war bis vor ganz kurzer Zeit so. Noch in den 1950er-Jahren war ein Brathuhn ein Gericht, das sich auch der Mittelstand nur an Sonntagen leistete. Erst mit der industriellen Viehzucht wurde Fleisch wirklich billig und – zumindest im “Westen” – für alle Schichten zugänglich. Klar, dass bei der plötzlichen Verfügbarkeit eines Sehnsuchtsobjekts übertrieben und zu viel davon konsumiert wird. Nach Jahrtausenden von Getreidebrei will man sich das Riesenschnitzel reinziehen, wenn es leicht erreichbar ist.
Heute ist Fleisch oft geradezu obszön billig. Sein Preis bildet in keiner Weise ab, was die Produktion in seiner Gesamtheit wirklich kostet!
Statt einem völligen Verzicht und dem damit verbundenen Verlust eines immensen Teils unserer kulinarischen Kunstfertigkeiten und Genussmöglichkeiten, plädieren wir für ein vernünftiges Maß.
Die Entdeckung und Entwicklung von exzellenten Speisen, bei denen Fleisch gleichsam als Gewürz verwendet wird, könnte ein bisschen dazu beitragen.