Das Kalbsbutterschnitzel ist in der Wiener Küche etwas ganz besonderes. Als noble Cousine des derberen Fleischlaberls gilt es als feine, leichte Speise, die die Verdauung nicht belastet – ideale Nahrung, wenn man ein bisschen marod ist, aber trotzdem nicht auf lukullische Genüsse verzichten will.
Im Gegensatz zu den österreichischen Fleischlaberln, die aus einer Mischung von Rind und Schweinefleisch bestehen und kräftig gewürzt sind, werden Butterschnitzel aus besonders fein (doppelt) faschiertem Kalbfleisch hergestellt. Weder Zwiebel, noch Knoblauch oder Majoran kommen zum Einsatz. Dafür ist beim Butterschnitzel eine Sauce unverzichtbar, die aus dem – mit Fond abgelöschten – Bratrückstand mit kalter Butter in der Pfanne montiert wird.
Die ältesten Rezepte, auf die wir bei unserer Recherche gestoßen sind, reichen weit zurück. Im 19. Jahrhundert wurde noch reichlich Speck und feingehackte Schalotte zum Kalbfleisch gemischt (Rokitansky 1897). 40 Jahre später war Sparsamkeit angesagt und die Menge des beigemischten Brots stieg um das Fünffache. Außer Salz und Pfeffer wurde kein Gewürz verwendet. Dafür empfahl Rudolf Rösch einen Suppenwürfel für die Sauce – offensichtlich nicht nur politisch düstere Zeiten! (So kocht man in Wien/Rösch/1938 – der Name Rudolf Rösch ist übrigens vermutlich frei erfunden, in Wahrheit stammt das Kochbuch von Alice Urbach, die als Jüdin verfolgt und deren geistiges Eigentum “arisiert”, also geraubt wurde)
1993 definierten Christoph Wagner und Ewald Plachutta das Wiener Butterschnitzel in ihrem Klassiker “Die gute Küche” mit Muskatnuss, ein wenig Obers (Sahne) und fein gehackter Petersilie. In unserer Fassung verwenden wir einen Hauch geriebener Zitronenschale statt der Petersilie. Es würde aber auch beides zusammen gut funktionieren.
Die fast obligatorische Zutat ist ein cremiges Kartoffelpüree, gekrönt mit knusprigem Röstzwiebel.
Zutaten für ca. 3-4 Portionen:
- 500 g mageres Kalbfleisch (Schulter)
- 1 altbackene Semmel oder 2 Scheiben Weißbrot
- 1 Ei
- ca. 60 ml Obers (süße Sahne)
- 1-2 Handvoll Semmelbröseln (Paniermehl)
- ca. 30 g kalte Butter zum Montieren der Sauce
- Butterschmalz zum Braten
- ca. 150 ml kräftige Bouillon oder Kalbsfond
- Muskatnuss
- weißer Pfeffer
- 1 Biozitrone mit ungespritzer Schale
- Salz
Zutaten für das Kartoffelpüree:
- 1 kg mehlige Kartoffeln
- 125 – 200 ml Milch oder Obers (süße Sahne), oder eine Mischung aus beidem
- ca. 40 g Butter
- Muskatnuss
- Salz
- 1 sehr große oder 2 mittlere Zwiebeln
- 2-3 EL Weizenmehl
- ca. 4-6 EL Butterschmalz (wird für die Butterschnitzel weiter verwendet!)
Zubereitung:
- Die Semmel (oder die Weißbrotschnitten) dünn entrinden und in Wasser legen bis sie vollgesogen sind. Danach gut ausdrücken.
- Das Kalbfleisch von Häuten, Fett und Bindegewebe befreien und in grobe Stücke schneiden. Zusammen mit der Semmel zwei mal hintereinander faschieren (wolfen).
- 1 Ei, 60 ml Obers (Sahne), Salz, Muskatnuss, weissen Pfeffer und einen kleinen Hauch(!) von frisch geriebener Zitronenschale dazugeben (vorsicht mit der Menge, wird leicht dominant!). Alles gut vermischen.
- Nun wird diese Mischung sehr weich und saftig sein. Um die richtige Konsistenz für formbare Laibchen zu erreichen, sukzessive kleine Mengen Semmelbrösel (Paniermehl) einarbeiten, bis die Masse weich, aber stabil ist.
- Wiederholt kosten und abschmecken, nicht zu wenig Salz verwenden.
- 20 min oder mehr im Kühlschrank rasten lassen.
- Mehlige Kartoffeln schälen und in grobe, etwa gleich große Stücke schneiden.
- In reichlich gesalzenem Wasser (soviel, dass die Stücke gerade bedeckt sind) etwa 20 min kochen, bis sie auch innen ganz weich sind. Wasser ableeren.
- ca. 100 ml vorgewärmte Milch (oder Obers / Sahne), 40 g Butter, Salz und etwas Muskatnuss dazugeben.
- Mit einem Kartoffelstampfer verarbeiten, dabei die Geschmeidigkeit mit weiterer Milch oder Obers regulieren.
- Zugedeckt im Backrohr bei ca. 80 Grad warmhalten.
- Zwiebel schälen und in ca. 2 mm dicke Ringe schneiden.
- Zwiebelringe in Mehl wutzeln. Danach in einem Sieb das lockere Mehl gründlich abschütteln (es würde im heissen Fett verbrennen).
- 4-6 EL Butterschmalz erhitzen und die Zwiebelringe darin bei mittlerer Hitze hellbraun backen. Dabei ständig bewegen.
- Mit einer Lochkelle aus dem Fett nehmen, auf Küchenpapier ausbreiten und abtupfen. Röstzwiebel offen an der Luft stehen lassen, damit er knusprig bleibt.
- Die Fleischmasse in 6 (oder 8) gleich große Kugeln teilen. Daraus flache, ovale Laibchen formen. Auch die Ränder gut verarbeiten, damit keine Risse entstehen. Mit dem Mersserrücken auf eine Seite ein Rautenmuster eindrücken.
- In Butterschmalz (das von den Röstzwiebeln übrig ist) bei mittlerer bis kräftiger Hitze herausbraten, dann herausnehmen und warmstellen. Nicht zu stark bräunen. Überschüssiges Fett ableeren.
- Die Bratrückstände in der Pfanne mit 150 ml Bouillon oder Kalbsfond ablöschen und reduzieren lassen.
- Hitze abdrehen und einige, möglichst kalte Butterstücke (ca. 30 g) mit dem Schneebesen kräftig einrühren. Eventuell mit wenigen Tropfen Zitronensaft abschmecken.
- Auf den Tellern jeweils 2 Butterschnitzel und Püree anrichten. Die Laibchen mit Sauce übergießen und die Röstzwiebel am Püree anrichten.