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2012 sind Michael Seiller-Tarbuk und Marie-Therese Strachwitz aus ihren bürgerlichen Berufen ausgestiegen, um auf einem kleinen Bauernhof im Wienerwald ihre eigenen Lebensmittel zu produzieren. 6 Jahre später erzählen sie den Kochgenossen über ihre Erfahrungen und den teilweise mühsamen Lernprozess, der von naivem Wunschdenken zu handfesten Erfahrungen in der wirklichen Welt führt. Ihre Geschichte handelt von den Schwierigkeiten einer völlig absurden Vorschriftsbürokratie bis hin zu zuvor nie gekannten Glücksgefühlen, die auch kleine Erfolge einer durch und durch selbstbestimmten Arbeit in der Tatsächlichkeit mit sich bringen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Was uns beim Besuch auf Mike’s Farm wirklich umgehaut hat, war die Qualität der Lebensmittel! Nie zuvor hatten wir eine vergleichbare Lammkeule oder frischeren Salat gegessen; nie einen derart aromatischen Fenchel, der vor frischer Knackigkeit fast platzt und nie eine bessere Forelle, die wir lauwarm essen, direkt aus dem Räucherofen kommend.
Natürlich war uns auch zuvor schon klar gewesen, dass die Frische von Lebensmitteln eine wichtige Rolle spielt, aber dass der Unterschied zu gekauften Waren derart markant ist, hat uns echt überrascht. Nicht nur Supermarktware wird hier haushoch übertroffen, sondern auch die Produkte aus den besten Bioläden und der Haubengastronomie. Gewürze sind dabei so gut wie überflüssig, ja sie würden den Genuss sogar stören. Freilich kann der Lebensmittelhandel niemals eine derartige Frische erreichen, denn wir kochen und essen hier direkt zwischen den Fischteichen und holen Salat und Gemüse zwei Minuten vor dem Zubereiten aus der Erde.
Die Gemüsegärten sehen auf den ersten Blick aus wie unberührter Dschungel
Aber die hohe Qualität hat auch andere Gründe: Alle Tiere leben hier in mustergültiger Freilandhaltung, die Schweine schlafen in Erdhöhlen, können in Tümpeln suhlen und buddeln die für sie gepflanzten Topinamburknollen aus. Ihr Areal ist mit einem mobilen Elektrozaun begrenzt, nicht zuletzt auch als Schutz gegen Wildschweine. Wenn der Boden dann komplett durchwühlt ist, rutscht der Zaun weiter und auf der nun fruchtbaren Erde kann angebaut werden. Da sie keine Wachstumshormone bekommen, leben die Schweine wesentlich länger als andere, bis sie ihr Schlachtgewicht erreichen und die Tötung erfolgt “hinterrücks”, ohne dass sie davon etwas mitbekommen. Dadurch wird das Muskelfleisch nicht durch Stresshormone verdorben, wie es in der industriellen Schlachtung gang und gäbe ist.
Die Forellen und Saiblinge haben in den wunderschönen, schattigen Naturteichen jede Menge Platz und das sprudelnde Traisenwasser sorgt für viel Sauerstoff und beste Lebensbedingungen. Mit Insekten als natürliches und nachhaltiges Fischfutter wird experimentiert.
Die Gemüsegärten zwischen den Teichen sehen auf den ersten Blick aus wie unberührter Dschungel, sind aber ein komplexes und genau geplantes Zusammenspiel von Pflanzen, die sich gegenseitig begünstigen. Hier wird nach Methoden der Permakultur gearbeitet; natürlich ohne Pestizide und Kunstdünger.
Nur wer das Optimum kennt, kann ein Produkt wirklich beurteilen
Für eine billige Massenproduktion eignet sich diese Technik sicher nicht, denn sie erfordert viel Handarbeit und aufmerksame Hingabe. Doch der Qualitätsunterschied zu herkömmlichen Produkten ist derartig deutlich, dass man diesen Vergleich unbedingt einmal ausprobieren sollte, um zu wissen, was bei Lebensmitteln möglich ist. Es geht dabei um kulinarische Kompetenz, für die solche Referenz-Erfahrungen eine Voraussetzung sind. Erst wenn ich das Optimum kenne, kann ich ein Produkt wirklich beurteilen.
Begonnen hat die Geschichte von Mike’s Farm vor 6 Jahren, eigentlich als Reaktion auf die sogenannte “Finanzkrise” mit dem Zusammenbruch von Immobilienmärkten und Banken. Michael, der zuvor in der Immobilienbranche tätig war, beschloss gemeinsam mit seiner Frau Marie-Therese aus den bisherigen Berufen auszusteigen. Er verkaufte seine Firma und mit dem Erlös erwarb er einen kleinen Bauernhof mit 7 Hektar Land in der Nähe von Altlengbach im Wienerwald.
Was ursprünglich nur zur Eigenversorgung gedacht war, begann allmählich zu wachsen
Was ursprünglich nur zur Eigenversorgung gedacht war, begann allmählich zu wachsen: zahlreiche Freunde und Bekannte wollten auch etwas von den herrlichen Produkten bekommen, und so erweiterte sich die Produktion des Hofes immer mehr: Neben vielen Gemüsesorten und Obstbäumen gibt es heute Kamerun- und Waldschafe, verschiedene Schweinerassen, Geflügel wie Gänse, Enten und Hühner, Kaninchen und seit wenigen Jahren immer mehr Fische. 2013 wurde ein Arreal von zusätzlichen 5 Hektar mit 6 Naturteichen in Ochsenburg an der Traisen erworben, wo heute Forellen und Saiblinge gezüchtet werden.
So einfach, wie sich das “naive” Städter vorstellen, ist die reale Tatsächlichkeit des Bauernlebens nicht
Gesetzliche Vorschriften, deren Einhaltung das Überleben als Kleinbauer nahezu unmöglich macht
Die größten Schwierigkeiten ergeben sich allerdings aus den teilweise absurden gesetzlichen Vorschriften, deren Einhaltung das Überleben als Kleinbauer nahezu unmöglich macht. Zwar darf man fast alles machen, was man will, solange nur für den Eigenbedarf produziert wird – doch sobald ein Produkt verkauft wird, gelten unzählige und strenge Hygienevorschriften, die eigentlich für die industrielle Massentierhaltung gedacht sind.
Als wir Mike’s Farm im vergangenen Herbst zum erstem Mal besucht hatten, lebten gerade mal 2 Schweine auf der Weide im Freien, wo sie im Schlamm suhlen und in Erdhöhlen schlafen können. Michael hatte einige Handvoll Getreidekörner für sie mitgebracht, über die sie sich freudig schmatzend hermachten. Wollte er ihr Fleisch später verkaufen, wäre das total illegal. Er wäre gezwungen, auch im Freien eine Hygieneschleuse aufzubauen, in der er vor jeder Fütterung sich selbst und alle Gegenstände desinfizieren und eine spezielle Schutzkleidung anlegen müsste, nur um 2 Schweinen ein paar Getreidekörner zu geben.
Auch das Verfüttern des sogenannten “Sautranks” oder “Kaschpl”, also der Essensreste aus der Küche ist seit 2006 strengstens verboten, obwohl das seit Urzeiten als hochwertigstes Futter galt. Und wenn man am eigenen Hof schlachten möchte, ist man gezwungen, eine eigene, sauteure Abwasserkläranlage zu errichten, denn das Blut und die Schlachtabfälle dürfen nicht in die Kanalisation gelangen.
Das Absurde ist, dass für alle das gleiche gilt, egal ob Tierfabrik mit zigtausenden Schweinen, oder die Oma, die hinter dem Haus eine Sau halten möchte
Natürlich dienen diese Vorschriften der Seuchenprävention, die besonders bei Schweinen sehr streng gehandhabt wird. Das Absurde dabei ist, dass für alle die gleichen Vorschriften gelten, egal ob es sich um eine Tierfabrik mit zigtausenden zusammengepferchten Schweinen handelt, oder die Oma, die hinter dem Haus eine Sau halten möchte. Klar ist, dass sich den immensen Investitionsaufwand nur die großindustrielle Massentierzucht leisten kann, während kleine und mittlere Betriebe zusperren müssen.
Es gibt so gut wie keine kleinen oder mittleren Schweinebauern mehr
Das ist kein Zukunftsszenario, sondern längst Realität: Es gibt so gut wie keine kleinen oder mittleren Schweinebauern mehr – praktisch nirgendwo, sondern nur mehr Massentierhaltung in immer größerem Maßstab. Besonders Deutschland spielt dabei eine unrühmliche Rolle, indem dort eine Reihe von Vorschriften zugunsten von ganz wenigen Megabetrieben geändert wurden. So dürfen diese Betriebe die Gülle praktisch unbegrenzt in die Landschaft kippen, während überall sonst die erlaubte Anzahl der Schweine an die Größe des Grundbesitzes gebunden ist, denn nur soviel Gülle darf anfallen, wie als Dünger restlos verbraucht werden kann. Das Fazit dieser Entwicklung: Deutschland ist dabei, sein Grundwasser zu ruinieren.
Darüber hinaus werden Antibiotika massenhaft eingesetzt, was natürlich die Entstehung von multiresistenten Keimen beschleunigt. Auch die Arbeitsbedingungen in diesen Schweinefabriken sind grauenhaft und meist obszön schlecht bezahlt. Dort arbeiten fast ausschließlich sogenannte “Leiharbeiter” aus Rumänien und Bulgarien.
Dadurch sind diese Schweinefabriken in der Lage, die Lohnkosten aller benachbarten Länder, in denen höhere Mindestlöhne gelten, drastisch zu unterbieten. Doch all dies ist offensichtlich nötig, um dem Preisdruck des Marktes standzuhalten, denn die Quasi-Monopole der großen Handelsketten und nicht zuletzt der Großteil der Konsumenten wollen immer billigeres Schweinefleisch, das ja heute tatsächlich einen geringeren Kilopreis hat als viele Obst- und Gemüsesorten. Wie pervers das ist, begreift man erst, wenn man sieht, was es bedeutet, ein Schwein auf lautere Weise großzuziehen und zu verarbeiten, ohne Quälerei, Trickserei und Ausbeutung.
Michael Seiller-Tarbuk: “Man darf die Großbetriebe nicht mit den kleinen Erzeugern in ein Boot setzen, es ist absurd, dass für beide die gleichen Vorschriften gelten. Wenn man heute einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb neu gründet, wird man von der Investitionslast durch bürokratische Vorschriften geradezu erdrückt: Bedarfsprüfungen, Gutachten, technische Ausstattung, Hygieneschleusen, Abwasseraufbereitung, Tierarzthonorare und so weiter. Bei alteingesessenen Betrieben wird das nicht so streng gehandhabt, denn das Aufzwingen aller neuen Vorschriften würde sie wirtschaftlich ruinieren, aber Neugründungen kommen zum Handkuss. Das ist irgendwie ein Teufelskreis”
Es ist höchst an der Zeit, auf die Politik Druck auszuüben, und nicht immer ist Brüssel schuld
Es ist höchst an der Zeit, auf die Politik Druck auszuüben, dass bei den Vorschriften zwischen Großbetrieb und Kleinproduzent ein Unterschied gemacht wird. Auch die ewige Ausrede, dass das alles in Brüssel entschieden wird, zieht nicht mehr – denn in vielen Fällen ist es nicht so. So hat zum Beispiel die oberösterreichische Landesregierung kürzlich die sanfte Weideschlachtung erlaubt – also offensichtlich eine Landeskompetenz und nicht die so oft herbeigeredete Bevormundung durch die EU. Worauf warten also noch die anderen Bundesländer? In Deutschland ist dies längst erlaubt. Auch Verordnungen der EU haben, hält man sich an gewisse Auflagen, nichts gegen einen Tod auf der Weide einzuwenden. Österreich jedoch, das sich gern als Vorreiter in der biologischen Landwirtschaft sieht, schiebt dem noch immer einen Riegel vor.
Die einzige Möglichkeit der Vermarktung ist der Direktvertrieb
Wenn man so wie Michael und Marie-Therese Tiere züchtet, hat man nicht die geringste Chance, auch nur in die Nähe der marktüblichen Preise zu kommen, ja nicht einmal ein Vielfaches davon reicht aus, um die Kosten zu decken. Die einzige Möglichkeit der Vermarktung ist der Direktvertrieb. Entweder ab Hof, auf Bauernmärkten oder auf Bestellung. Im Raum Wien-Altlengbach-St.Pölten wird freitags auch zugestellt. Schön ist, dass der Direktvertrieb auf Mike’s Farm langsam aber stetig wächst; um etwa 10 Prozent im Jahr.
Zahlt es sich aus?
Auf unsere Frage, ob sich sein Geschäft auszahlt, antwortet Michael Seiller-Tarbuk folgendes:
“Wenn ich heute ein Lamm – ausgenommen und abgezogen – um 20 Euro pro Kilo verkaufen kann, dann komme ich auf maximal 300 pro Tier. 50 kostet der Tierarzt für die Beschau, dazu kommen Kosten für das Winterfutter und jede Menge Arbeit. Eigentlich rechnet sich das nicht, obwohl die 20 Euro ein vielfaches von dem sind, um was Fleisch heute gehandelt wird. Es kommt immer darauf hinaus, dass es einfach obszön ist, Fleisch um 2 oder 3 Euro zu verkaufen. Trotzdem können wir heute vom Ertrag des Hofes leben und einen Angestellten bezahlen. Doch die Erstinvestitionen, wie der Kauf von Land, Wirtschaftsgebäuden und Maschinen, sind da nicht eingerechnet. Ich hatte das Glück, durch den Verkauf meiner Firma den Hof finanzieren zu können. Diese Investitionen werden wahrscheinlich nie hereinkommen. Streng ökonomisch gesehen – im Sinne von Investment – zahlt sich das Geschäft also nicht aus.”
Eine größere Freude hab ich noch nicht verspürt
“Wenn ich es aber von der Lebensqualität her betrachte oder von der Überzeugung von dem, was ich mache, dann schaut die Sache anders aus. Wenn ich zum Beispiel am Markt jemandem eine Forelle um 9 Euro verkaufe, und der kommt dann eine Woche später wieder, 10 Minuten bevor ich aufsperre, und der sagt, dass er ganz sicher gehen will, dass er wieder eine bekommt, weil die so gut war – eine größere Freude hab ich noch nicht verspürt! Mit meinem Produkt, das ich von A bis Z kenne und bei dem ich zu hundert Prozent überzeugt bin, dass es gut ist! – Dann ist das etwas ganz anderes als in meinem früheren Beruf, wo man jemandem eine Wohnung einreden muss, auch wenn man die Mängel kennt. In vielen Berufen musst du halt einfach “abdrücken”. Und das ist mit dem, was ich jetzt mache, einfach anders! Es gibt natürlich Verzichte. Du bist 365 Tage im Jahr angehängt, du hast eine Verantwortung den Tieren gegenüber, du kannst keine Reisen machen – aber es ist einfach unbezahlbar, was jetzt meine Seele betrifft. Wenn ich mir so die letzten 1o Jahre anschaue: das hat mir extrem gut getan! Uns beiden eigentlich, dieses gemeinsam und eigenverantwortlich Etwas schaffen ist wirklich cool! ”
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Absolut großartig, wenn ich solche Berichte von fantastischen Menschen lese, hab ich wieder das Gefühl, die Welt hat doch noch eine Chance, danke Mikes Farm!
Danke Sabine!
Sehr schön beschrieben, love it <3
Danke für den an sich schönen Bericht! Getrübt wird er durch den Satz mit den Schweinen Donald & Trump, die so heißen, damit das Schlachten leichter fällt. Solche Rhetorik erinnert an den Wahnsinnigen der kürzlich von seinem Balkon ballerte, weil er ein Problem mit VdB und Kurz hat. Trump ist uncool, keine Frage, aber das rechtfertigt solche Sätze nicht.