Leider wird im Parterre des Hauses nicht mehr gekocht – offensichtlich hat es während der Coronawelle einen Wechsel der Betreiber gegeben. Auch Jasin Nhari ist hier nicht mehr tätig. (Oktober 2022)
Was die Kochgenossen beim Hungry Nomad essen
- Was auf den Tisch kommt
Denn hier gibt es keine Speisekarte und gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Jeden Tag, pünktlich um 20:30 wird ein täglich wechselndes, fünfgängiges Menü aufgetragen. Und egal, was es ist, es wird mit Sicherheit zum Besten gehören, das man in Marokko essen kann. Denn hier wird nicht gekocht wie in einem Restaurant, sondern wie zuhause, wenn in den großen Familien Feste gefeiert werden – und das kann man nicht vergleichen.
Es geht auch zu wie in einer Familie und gar nicht wie im Restaurant. Man wird zu zwanzigst oder mehr an großen Tischen eng zusammengesetzt und teilt harmonisch die Schüsseln. Alle werden wie Brüder und Schwestern behandelt und die Atmosphäre ist betont herzlich und liebevoll wie in einer Hippiekommune zu Woodstock-Zeiten.
Das ist ja an sich etwas, dem man als gelernter Wiener von Natur aus skeptisch gegenübersteht – aber das Essen ist derartig gut, dass man am Schluss den Koch selbst minutenlang umarmt und von brüderlicher Liebe faselt, obwohl es hier keinen Tropfen Alkohol gibt!
Dieser Koch heißt Jasin Nhari, wird aber von Allen “Couscous” genannt.
Nach fast einem Monat intensiver Foodrecherche in Marokko sind wir inzwischen mit fast allen Speiseformaten und ihren Qualitäten gut vertraut. Was uns aber hier serviert wird, übertrifft alles Bisherige bei Weitem.
Der Unterschied liegt vermutlich darin, dass wir bisher nur in der Gastronomie, nicht aber bei den Familien zuhause gegessen haben. Und genau diese Küche der häuslichen Familientradition ist das Grundprinzip von Jasin Nhari, der das Kochen bei seiner Großmutter gelernt hat und hier seit 8 Jahren mit enormer Hingabe an der ständigen Verbesserung seiner Kochkunst arbeitet. Deshalb gibt es hier auch keine Speisekarte und Auswahlmöglichkeit, wie im Restaurant. Gekocht wird wie in der Küche einer Großfamilie. Und gegessen wird, was auf den Tisch kommt.
Dabei verlässt Jasin “Couscous” Nhari selten den Boden der traditionellen Marokkanischen Küche, achtet aber auf Details, die vielen Anderen nicht bewusst sind.
Wie ist die Kruste am heißen Boden der Tajine genau beschaffen? Welche Konsistenzen hat das geschmorte Gemüse? Welche Texturen sind spannende Kontraste? – das sind Fragen, die hier – bewusst oder unbewusst – genaue Beachtung finden.
Auch aromatisch sind die Gerichte “beherzter” als sonst in Marokko – trotzdem alles Andere als überwürzt! Das liegt zum Beispiel an der Verwendung von Knoblauch:
Seit Wochen ist uns aufgefallen, dass Knoblauch in Marokko, wenn überhaupt, nur äußerst zaghaft verwendet wird. Das hat uns ein Bisschen irritiert, weil er in den meisten Zusammenhängen wunderbar passen würde.
Jasin kann uns dieses Phänomen sofort erklären: Es hat mit der Religion zu tun. Denn ein rechtschaffener Muslim sollte beim Gebet rein und sauber sein, und keinesfalls stinken! Daher existiert für sehr gläubige Menschen ein gewisses Speisetabu für Knoblauch. Besonders in der Gastronomie wird das beachtet.
Aber längst nicht Alle leben danach und lieben Knoblauch, so auch Jasin. Übertreiben tut trotzdem Niemand, denn in der Marokkanische Küche wird mit Gewürzen generell dezent umgegangen.
Auch Scharfes ist in Marokko erstaunlich selten, während hier auch frischer Chili auf grandiose Weise eingesetzt wird. Nicht zu viel und nicht zu wenig.
Die boulettes de sardine in Tomatensauce sind ein Gedicht! Mit mitgeschmorten Pfefferoni, Knoblauch, Kreuzkümmel, Lorbeer, Petersilie und Safran.
In Essaouira gibt es die besten Sardinen, die hier fein filetiert und ganz fangfrisch faschiert werden. Dieses Gericht ist an der Atlantikküste omnipräsent, wir haben es schon mindestens zehn mal gegessen, aber dieses hier übertrifft alle.
Auch in Sachen Tajine haben wir hier den Meister gefunden, mit einer Köstlichkeit aus Rindfleisch, Karfiol (Blumenkohl), Salzzitronen und perfekt angekrusteltem Zwiebel.
Auch ein lauwarmer Krautsalat mit geriebenem Käse bleibt in bester Erinnerung. Ebenso die geschmorten Melanzani.
Das Erstaunlichste aber ist der Preis für dieses herrliche Menü. Eigentlich sollte man das gar nicht erzählen, aber wir sind ja unter uns! (Ähem: 60 Dirham, inklusive Getränken und Minztee davor und danach. Das sind nicht einmal 6 Euro! – Ok, es gibt keinen Alkohol, man trinkt Wasser, aber trotzdem!)
Jasin weiß, dass er teurer sein könnte. Das Lokal ist auf Tripadvisor und allen anderen Rankings ganz vorne, man bekommt keinen Platz ohne Reservierung, und die Bude ist immer voll. Bis zu 80 Personen werden gleichzeitig allabendlich bekocht. Er hat auch einige Angebote, um als Koch anderswo um viel mehr Geld zu kochen, aber das möchte er nicht.
Denn er liebt dieses Haus mit seiner extrem entspannten Atmosphäre, das mitten im alten Souk von Essaouira steht und ständig von einer internationalen Mischung vorwiegend junger Leute belebt ist. Diese unterschiedlichen Menschen jeden Abend wie eine große, liebende Familie an einen großen Tisch zusammenzubringen, dafür kocht er.
Es ist tatsächlich so, dass man zwischen 18-jährigen Amis mit Dreads, taiwanesischen Pensionisten, einer französischen Bobofamilie und spanischen Motorradtypen zu sitzen kommen kann. Und es wird tatsächlich familiär.
Das Lokal ist im Erdgeschoß eines alten Riad namens Atlantic Hostel untergebracht – eine einfache Pension mit einigen Zimmern, die über eine herrlich “chillige” Dachterrasse verfügt, von der aus man die gesamte Medina von Essaouira überblickt. Hier lebt er noch, der Geist von Woodstock; und alle haben sich lieb.
Einziger Haken für Unsereins: kein Bier.
facebook.com/TheRealHungryNomad/
44000 Rue El Abbana, Essaouira, Morocco, Tel: +212 629-652268Karte anzeigen
Wir waren im September 2022 in Essaouira und wollten, inspiriert von eurem Bericht, im “Hungry Nomad” zu Abend essen. Leider war nur die Dachterrasse offen, wo es eine mäßig interessante 0815-Speisekarte gibt. Wir haben gefragt, ob es das Abendessen, von dem ihr berichtet habt noch gibt, und sogar den Bericht am Handy hergezeigt, die Kellner hatten aber keine Ahnung, wovon wir reden oder wer der Koch Jasin ist.
Ich fürchte, dass Jasin ein Opfer vom COVID-Stillstand wurde und dass es sein Lokal im Erdgeschoß nicht mehr gibt sondern nur die Dachterrasse.
Wir waren dann stattdessen im urigen “La Fromagerie” etwas außerhalb der Stadt (wir hatten ein Mietauto). Sehr schräg, gute Küche, auf marokkanischen Käse (!) spezialisiert.