Der von uns hochgeschätzte Peter Kubelka hat den Begriff schon in den 1990er Jahren geprägt: “Bemmerl- & Batzerlküche” – als ein Sinnbild für eine Küche, deren Hauptzweck die Erfüllung von Prestigebedürfnissen ist. Es geht dabei vor allem um visuelle Reize, um das Aufladen der Speisen mit Zeichen, die Kreativität, Originalität und Luxus ausdrücken sollen.
Dagegen ist ja nichts einzuwenden, wenn’s wer braucht, solange das Essen wirklich gut ist. Doch allzuoft ist dem nicht so, und der angestrengte Wille zum Außergewöhnlichen und Luxuriösen führt vielmehr zu Geschmacklosigkeiten im wahrsten Sinn des Wortes.
Große Köche haben es oft schwer, etwas Gutes auf den Tisch zu stellen, weil sie so viele andere Bedürfnisse bedienen müssen
Peter Kubelka: “Essen als eine Montage aus verschiedenen Elementen, die hauptsächlich der Belustigung und Erfreuung des Auges dienen…Eine Stopfleber auf Sauerkraut zu setzen und mit seltenen Blüten zu verzieren – das verbessert das Sauerkraut nicht. Im Gegenteil: Es lenkt ab und ruiniert das Gericht… Große Köche haben es oft schwer, etwas Gutes auf den Tisch zu stellen, weil sie so viele andere Bedürfnisse bedienen müssen, die nicht zum Kochen gehören. Für mich ist die Tiroler Bäuerin eine weitaus größere Künstlerin als die meisten preisgekrönten Köche. Weil sie den normalen Weg der Welterschließung geht und nicht unlautere Motive hat wie viele sogenannte Haubenköche. Die bedienen ein Publikum, dem es ja nicht um gute Küche geht, sondern darum, mit teurem oder originellem Essen ihren Status zu unterstreichen.”
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir wollen hier nicht die Leistung von gefeierten Köchen anzweifeln. Und uns ist schon klar, dass es in der Haubengastronomie große Künstler gibt.
Aber das wahre Verdienst um die Hervorbringung der großartigsten Speisen liegt nicht bei solitären (meist männlichen) Einzelgenies, sondern ist eine kollektive Kulturleistung, entwickelt und getragen durch Jahrtausende, und zwar fast ausschließlich von Frauen.
Diese Speisen brauchen keine Dekoration und schmecken auch, wenn sie im Kochtopf serviert werden, ohne Tischtuch, dezentes Licht und Gläserbatterie. Sie dürfen sogar häßlich sein (oder wonach schaut eine mousse au chocolat aus?).
In der Haubengastronomie geht es um ein Unterhaltungsprogramm
Auch wenn es absurd klingt: in der sogenannten Haubengastronomie geht es nicht primär um gutes Essen, sondern um ein Unterhaltungsprogramm, um ein kaufbares Erlebnis, das über das Essen an sich weit hinaus geht. Und nur wenn man Glück hat, ist es trotzdem gut.
Aufwändige Tischkultur, luxuriöses Ambiente und vor allem hohe Preise können aber gewaltig ablenken vom eigentlichen Schmecken. Denn wer will schon zugeben, dass er eine Menge Geld ausgegeben hat für etwas, das nicht gut ist.
Eine interessante Studie zeigt den Zusammenhang zwischen vermeintlichem Genuss und Preis: kurier.at/genuss/psychologie-warum-teurer-wein-besser-schmeckt
Das medial aufgeheizte Narrativ über die Helden der haute cuisine erzählt uns immer das gleiche Klischee: Unmenschlicher Stress in der Küche. Höchste Präzision mittels Pinzetten und Spritzen beim Anrichten auf Steinplatten oder viel zu großen Tellern mit origineller Formgebung. “Süppchen” in Gläsern. Gewollt spontan wirkende Splashes aus Balsamico-Glace oder denaturierten Pürees. “Bremsspuren” auf dem Teller. Seltene Blüten und makellose Blätter als Dekoration, farblich geschmackvoll abgestimmt. Kunstvoll aufgebaute Türmchen. Frisch aufgebügelte, blütenweiße Tischtücher und Servietten. Von Hand polierte Gläser und Bestecke. Und die ständig spürbare Angst, einen Fehler zu machen…
Die Institution “Restaurant” geht auf die Zeit nach der französischen Revolution zurück
All dies hat nichts mit guter Küche an sich zu tun, sondern mit der Erfüllung von Status- und Prestige-Wünschen. Um das zu verstehen sollte man sich vor Augen halten, woher die Institution “Restaurant” mit all seinen Ritualen wie Menüfolge, Tafelservice und Sommelier eigentlich kommt: Sie geht zurück auf die Zeit nach der französischen Revolution. Damals waren unzählige Köche schlagartig arbeitslos geworden, die zuvor für die nun entmachtete und teilweise kopflose Aristokratie gekocht hatten. Sie waren spezialisiert auf eine ausgesprochene Luxusküche, die Macht, Reichtum und Kunstsinnigkeit ihrer Herren betonen sollte. Nach der gewaltsamen Entmachtung wussten ganze Küchenbrigaden nicht mehr, wovon sie leben sollten.
Für ein paar Stunden König spielen
In dieser Situation erfanden sie das Restaurant, wo sie ihre Kunst an ein zahlungskräftiges Publikum verkaufen konnten. Dabei ging es vor allem um eines: Bürger konnten für ein paar Stunden König spielen! Man konnte staunend die intensive Betreuung und die dezente Unterwürfigkeit des Servicepersonals genießen, das einem jeden Handgriff abnahm. Auch die luxuriöse Ausstattung mit Tafelsilber, Tischtüchern und teuren Gläsern war ein zentraler Bestandteil dieser neu geschaffenen “Erlebniswelten”, wie man heute dazu sagen würde. Kurz: man konnte sich gegen Bezahlung wichtig fühlen.
Bis heute hat sich dieser Aspekt der Luxusgastronomie erhalten und beeinflusst die Wahrnehmung beim Essen ganz erheblich. Für das Gefühl, etwas Besseres zu sein als die anderen, nimmt der Mensch viel in Kauf. Oft auch den Verlust des eigenen sinnlichen Urteilsvermögens.
Kontrolliertes versus passiertes Anpatzen
Ein Beispiel aus jüngster Zeit kann verdeutlichen, was wir mit diesem Dilemma der Luxusgastronomie meinen: Wir haben Anfang 2018 über die Hawker-Centres in Singapur geschrieben, jene Hallen, in denen einfache, kleine Straßenküchen untergebracht sind und in denen meistens hervorragend gekocht wird.
Wir haben auch begeistert über den Stand von Hawker Chan berichtet, der als erster Straßenkoch vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichnet wurde. Zu Recht, denn Chan’s Hong Kong Soya Sauce Chicken um weniger als 2 Euro ist wirklich sensationell gut.

Als erstes Streetfood mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet: Sojasauce Chicken von Hawker Chan in Singapur: Auf Plastiktellern um weniger als 2 Euro…
Eine von vielen Reaktionen auf den Artikel kam von einem deutschen Berufskoch, der den Stand auch besucht hatte und gar nicht unserer Meinung war. Er meinte, die Verleihung das Sterns sei eigentlich eine Frechheit. Auf unsere erstaunte Nachfrage, ob ihm denn das Huhn nicht geschmeckt hatte, stellte sich folgendes heraus: Es ging bei seiner Kritik gar nicht um Geschmack, sondern um die Tatsache, dass der Tellerrand mit einem Fleck Sojasauce angepatzt war. “Wenn das bei uns im Restaurant passiert, ist sofort jeder Stern weg!”
Er fand es einfach ungerecht, dass der Aufwand zur Erreichung und Erhaltung von Sternen oder Hauben gewaltig und mitunter mörderisch ist. Jedes Detail wird beurteilt und schon ein kleines Fleckchen auf Glas oder Löffel wird streng sanktioniert. Und da kommt ein chinesischer Straßenkoch mit angepatzten Tellern und kriegt auch einen Stern!
Lustig ist, dass in der Haubenküche das “Anpatzen” von Tellern eigentlich sehr en vogue ist, allerdings streng kontrolliert und nicht passiert, obwohl dabei das streng Kontrollierte wie spontan passiert aussehen soll. Man könnte eine “Kulturgeschichte des Anpatzens” schreiben: “Passiertes versus kontrolliertes Anpatzen in der Luxusgastronomie”.
Man sieht also, mit Essen hat das alles nichts zu tun, vielmehr mit sehr komplexen Codes für sozialen Status.
Das Tischtuch hat heute keine Funktion mehr, gehört aber trotzdem zu einem “ordentlich” gedeckten Tisch
Selbst das Tischtuch, jenes Hauptutensil einer gepflegten Tafelkultur entbehrt nicht einer gewissen Absurdität: In Zeiten, als noch mit der Hand gegessen wurde, diente es dazu, um sich Hände und Mund abzuwischen und zum Schutz der Kleidung. Dieser eigentliche Zweck ist heute vollständig verschwunden, denn diese Aufgabe erfüllt die Serviette. Das Tischtuch hat heute keine Funktion mehr, gehört aber trotzdem zu einem “ordentlich” gedeckten Tisch. Der Aufwand dafür ist gewaltig, denn man muss das Stück Stoff ja nach jedem Essen waschen und bügeln.
Doch eine Funktion hat das blütenweiße Tischtuch immer noch: Es zeigt jeden Fleck überdeutlich. Und es zeigt dadurch, dass man sich diesen Indikator für makellose Sauberkeit leisten kann im Sinne von: “Andere Leute mögen Schweine sein, ich kann es mir leisten, meine Makellosigkeit zur Schau zu tragen.”
Auch der Verzicht auf Statussymbole und Dekor ist eine Form des Ausdrucks
Nun macht es ja wenig Sinn, soziale Distinktions-Codes zu hinterfragen, denn sie sind ein zentraler Ausdruck menschlicher Kommunikation. Man kann bekanntlich nicht Nichts ausdrücken. Auch der Verzicht auf Statussymbole und Dekor ist eine Form des Ausdrucks, der eine Konzentration auf das eigentliche kulinarische Erlebenis zeigt, möglichst ohne Getue und Ablenkung. Auch einfaches und Funktionales ist schön.
Für uns ist es kein Wunder, dass fast alle Berufsköche, die wir persönlich kennengelernt haben, privat einfache und traditionell verwurzelte Gerichte vorziehen (und das schon zu Zeiten, als die nouvelle cuisine der letzte Schrei war!). Der Trend zu authentischem Kochen ist seit einiger Zeit auch bei Starköchen unübersehbar. Sie steigen aus der stressigen Haubengastronomie aus und gründen einfache Bistros und Gasthäuser.
Traditionell gewachsene Speisen sind uns weit lieber, als “geniale” Neukreationen von “solitären Genies” – nicht weil wir Modernisierungsgegner oder Feinde des Fortschritts sind, sondern weil in der Regel tatsächlich ein objektiver Qualitätsunterschied besteht, den wir gut begründen können:
Wirklich gutes Essen muss sich in der alltäglichen Wiederholung bewähren
Speisen sind nicht beurteilbar, wenn man sie nur einmal isst. Der überraschende Reiz des Neuen und Exotischen, ein Prestige versprechendes Narrativ, sowie teure Preise können eine starke Wirkung haben. Würde man dieselbe Speise über einen Zeitraum mehrmals pro Woche in einer billigen Werkskantine essen, würde ihr Zauber vermutlich schnell verfliegen. Wirklich gutes Essen muss sich in der alltäglichen Wiederholung bewähren, es geht sozusagen durch einen sozialen Optimierungsprozess. Wirklich gut ist, was ich mehrmals pro Woche mit großem Genuss essen kann – und das sind fast immer einfache Speisen, die traditionell verwurzelt sind.
Das heißt nicht dass alles Traditionelle automatisch gut ist, überall gibt es auch einen kulinarischen Mainstream der Mittelmäßigkeit. Aber es gibt herausragende Regionen, in denen gutes Essen eine zentrale gesellschaftliche und identitätsstiftende Rolle spielt: Italien, Frankreich, das spanische Baskenland, Südostasien, China, Japan, Korea – um nur einige zu nennen. Und auch überall sonst gibt es großartige Kochtraditionen, auch wenn sie in der Öffentlichkeit kaum präsent sind weil sie fast nur im Privaten stattfinden.
Was uns wirklich interessiert
Das ist es, was uns wirklich interessiert: lebendige Kochtraditionen im Privaten und in einer “Kleingastronomie”, die keine Prestigewerte anzubieten hat, sondern nur gutes Essen. Zum Beispiel traditionelle Streetfood-Kulturen, in deren Foodstalls oft über Generationen hinweg an der Perfektionierung einer einzigen Speise gearbeitet wird – mit Herzblut, Eigenverantwortung und immens viel Übung. Es ist klar, dass an deren Leistung niemand herankommen kann, auch nicht der talentierteste Haubenkoch. Zum Beispiel die Parotta in einer südindischen Fernfahrerkneipe, die handgemachte Pasta einer Nonna aus Apulien, ein Steinpilzrisotto aus der Po-Ebene, eine gegrillte Ente auf Zeitungspapier in Vietnam, die Reisnudelsuppe eines thailändischen Suppenstands, ein saftig-zarter Schweinebauch in einer chinesischen Straßenküche, die Powidltascherl der Oma, die Innviertler Knödel vom Moar-Sepp und der Matjeshering einer Mecklenburger Fischbude – das sind die Quellen unserer Recherchen!
Großartiger Artikel, besser kann man die Wixerei nicht beschreiben, die dem vermeintlichen Gourmet wiederfährt!
merci
Was die private Kocherei betrifft, kann ich das unterschreiben. “Hausmannskost” in der Wirtschaft kann man meistens in der Pfeife rauchen; wenn man wirklich authentisch essen will, muss man selber kochen (seltene Ausnahmen bestätigen die Regel!). Deshalb freu ich mich auch, dass ich auf diese Seite gestoßen bin und koche auch schon fleissig nach den Rezepten!
Für einen unter den Sterne-Köchen muss ich allerdings eine Lanze brechen: In unserer Nachbar-Großstadt Nürnberg gibt es einen Koch, der all sein Können und seine Kreativität dem Gemüse widmet. Einmal im Jahr muss das sein, und es ist jedesmal eine Offenbarung! Ein ganz klein wenig Fleisch und Fisch gibt’s auch, aber sonst Gemüse, Gemüse und Gemüse!
Wenn man heim geht, voller Respekt und Begeisterung dafür, was heimische saisonale Feldfrüchte an Genuss zu bieten haben, ist das schon zwei Sterne wert!
Was Für ein genialer Artikel! Ich finde man liest, auch bei den großen Zeitungsagenturen wirklich selten etwas so intelligent und gleichzeitig amüsant geschriebenes. Ich habe immer ein komisches Gefühl zur Sternekocherei gehabt, konnte es nur nie richtig in Worte fassen, die nicht gleich den ganzen Restaurantbetrieb abwerten. Je nach Anlass, Anforderungen und Bedürfnissen hat jede Art zu kochen eben ihre eigene Berechtigung. Ich habe jedenfalls schon beim lesen richtig Hunger gekriegt! Danke dafür 😀
Sorry, aber selten habe ich eine dermaßen schlecht recherchierte und kompilierte Analyse zu diesem Thema gelesen. Eurer Problem: ihr meint, Alltagsküche vs Sterneküche sei ein “entweder-oder“ währenddessen es sicher mehr ein „sowohl als auch“ ist.
Erster Trugschluss: der direkte Vergleich der bäuerlichen Küche mit der Sterneküche. Das wäre so, wie wenn ich sagen würde „Fußball ist besser wie Handball, weil im Handball wird der Ball mit der Hand gespielt“ – das eine hat mit dem anderen schlicht und ergreifend nix zu tun. Wohlgemerkt: das schließt eine persönliche Präferenz nicht aus, es ist etwas anderes, wenn ich sage, ICH mag Handball nicht. Ebenso wäre das in eurer Analyse möglich gewesen, ihr habt jedoch leider den Ansatz gewählt, eure persönlichen Präfenzen zu verallgemeinern.
Unfassbar finde ich das Zitieren einer Aussage, die besagt, dass es Hauben- und Sterneköchen ja nicht um gutes Essen ginge, sondern ausschließlich um die Darstellung von Luxus, weiters auch eure Herabwürdigung von Gästen, „die ja nur solchen Luxus suchen würden“. Ich weiß ehrlicherweise nicht, woher ihr solche hanebüchenen Belege nehmt. Es ist gerade in den letzten Jahren immer mehr eine Entwicklung absehbar – Stichwort casual fine dining – die in die Richtung geht, eben bspw keine Tischtücher mehr zu verwenden, mehr in Richtung einer Frugalität zu gehen, weil das vielen Gästen schlicht und ergreifend nicht mehr wichtig ist. Es wäre ein leichtes gewesen, das zu recherchieren, aber das hätte ja eure Grundthese erschüttert.
Möchtet ihr aber ernsthaft behaupten, dass es Köchen wie bspw Heinz Reitbauer (nur als ein Bsp unter vielen), der ja als hochdekorierter Koch genau den von euch genannten Kriterien eines „Luxus-Kochs“ entsprechen müsste, darum geht, ein Publikum zu bedienen, dem es explizit NICHT um gute Küche geht, sondern der mit teurem Essen den Status von Gästen unterstützen will? Jenem Heinz Reitbauer übrigens, der die letzten Jahre damit verbracht hat, die Verbindungen zu Kleinsproduzenten zu unterstützen, und der auch mal als Hauptgang (Vorsicht Sarkasmus) Luxusgüter wie Kalbshirn serviert. Gilt eure Aussage dann eigentlich nur für das Steirereck oder auch für die Meierei, in der ja unter anderem auch Schnitzel und ähnliches serviert werden?
Auch eure Aussage, in der sogenannten Haubengastronomie gehe es „nicht primär um gutes Essen, sondern um ein Unterhaltungsprogramm, um ein kaufbares Erlebnis, das über das Essen an sich weit hinaus geht,“ ist so was von hanebüchen, dass ich es wirklich kaum fassen kann. Ich weiß nicht in wie vielen Sternelokalen (UND Gasthäusern) ich in den letzten Jahren war, aber in keinem einzelnen ging es um ein „Unterhaltungsprogramm“.
Ihr habt offensichtlich nicht verstanden, dass es sich hier um zwei völlig unterschiedliche Konzepte handelt. In der Sternegastronomie geht es um das Erfahren von Aromenwelten, die Erkundung verschiedenster Geschmäcker und Aromen, währenddessen die klassische Kost eher ein repetitives Geschmackserlebnis ist. Nicht falsch verstehen, Beides hat seine Berechtigung, beides hat seine Zeit. Im übrigen gibt es viele Entwicklungen aus der Sternegastronomie, die ihre Anwendung in der Alltagsküche gefunden haben.
Völlig entlarvt wird eure inkonsistente Argumentation schließlich mit der Beobachtung, Haubenköche würden aus dem Business aussteigen und Bistros gründen, weil sie die Sterneküche satt hätten. Habt ihr euch eigentlich – Stichwort Luxus – auch mal mit den Einkaufspreisen und der Kalkulation in der Sterneküche beschäftigt? Ich kann es mir nicht vorstellen, denn ansonsten wüsstet ihr, dass in diesem Business Gewinne kaum möglich sind. Wareneinsatzquoten von 60% (!) sind keine Seltenheit, währenddessen in Bistros eher 30% die Regel sind. Das ist auch der einzige Grund, warum viele aussteigen – es lässt sich damit kein Geld verdienen. Das wäre vielen Köchen auch noch egal, aber irgendwann ist der finanzielle Druck durch verschiedenste Faktoren (Stichwort no shows etc) einfach zu hoch. Nicht umsonst fahren viele Sterneköche deswegen auch doppelgleisig und bieten sowohl Bistro als auch Sterneküche an – weil sie mit dem Bistro jenen Umsatz machen, mit dem die Sterneküche querfinanziert werden kann. Im übrigen sind es auch zumeist die Sterneköche, die Verbindungen zu Kleinstbauern pflegen und diese Produzenten durch den Kauf der entsprechenden Produkte unterstützen. Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Etablissements, die im Großhandel einkaufen. Ganz zu schweigen vom Endverbraucher, der sowieso zu 90% sein Fleisch von der Fleischtheke im Supermarkt zu zwei Euro das Kilo kauft.
Insgesamt empfinde ich eure Darstellung als sehr traurig. Traurig, weil schlicht und ergreifend Dinge geschildert und kommentiert werden, die so in keinster Weise stimmen. Die Stärke von Küche und Kulinarik war für mich immer das inklusive – vieles hat seine Berechtigung, vieles kann gemacht werden und Kulinarik bringt die Menschen zusammen. Einfach nur grundlos eine bestimmte Art von Küche zu bashen zeugt leider nicht von grundlegender Toleranz.
Genialer Artikel, der meinen Blickwinkel auf die Welt der Kulinarik verändert hat. Habe bereits unzählige Haubenrestaurants besucht und aber auch längere Zeit in Asien gelebt und mich dort auch an Straßenküchen und Food Courts gelabt. Sicherlich ist das Haubenrestaurant ein Erlebnis, eine Art theoretisches “Was möglich ist”. Wie vielleicht Bungee Jumping oder so – muss man einmal gemacht haben, ändert den Blickwinkel. Der Grenznutzen nimmt aber mit jedem Besuch ab. Allenfalls als Untermalung zu einem stundenlangen romantischen Abend. Aber ESSEN spielt sich auf einer anderen Ebene ab.
Noch ein paar ergänzende Gedanken:
“Reguläre” Gasthauskost ist in Österreich zu 99% Convenience aus dem Metro, das kann man vergessen. Gut essen kann man auch hier nur im “gehobenen” (nicht notwendig Hauben-)Bereich. Beispiel Sodoma in Tulln.
Zum Thema Distinktionsgewinn: Als weitgereister Kosmopolit vertrete ich ja eher die Anschauung, der hemdsärmelige Weltreisende, der in Korsika/Laos/Südindien eine versteckte kulinarische Perle findet, sozial deutlich höher und distinguierter gestellt ist als der typische Wiener Haubenlokalbesucher, den stets das Düftchen des Neureichentums umweht…
Danke, spricht mir aus dem Herzen. Ein kleines Stück weit gehe ich mit Gerhard mit…. es ist ein “Sowohl-als-auch”, schlecht recherchiert ist der Artikel allerdings überhaupt nicht. Er spiegelt die Meinung der Kochgenossen wieder.
Haubenküche versucht sich oft an neuen, teils völlig abgedrehten Kombinationen und Methoden (z.B. das Noma mit René Redzepi); das ist Experimentalküche, -ja, da ist ne Menge Show dabei-, und oft kommen da richtig gute Ergebnisse und Erkenntnisse raus. (z.B. schon mal Garnelen mit Käse versucht, das passt echt toll zusammen). Wie weit man das jetzt treiben muss, , und was man in die “”normale/gehobene Alltagsküche” übernehmen mag , bleibt doch aber bitte jedem selbst überlassen. Ein relativ simples Standardgericht auf einem Heubett anzurichten ? muss das ? Kann das jeder grade mal so ? bringt’s was ? mach ich das im Alltag ? Nö.