Die Knospen des Südens
von Michael Langoth
Kapern waren für mich schon als Kind etwas Magisches – und das trotz ihrer potentiellen Grauslichkeit! Denn das Bittere, Scharfe und Salzige war eigentlich viel zu intensiv für den zarten Kindergaumen, ganz besonders in seiner brutalsten Form, dem klassischen Sardellenringerl aus der schmalen Blechdose, in dessen Mitte ja eine fette Kaper thronte.
Da hat’s den ganzen Kinderkörper gebeutelt und das Gesicht verzogen, während man im sensorischen Overflow ein herzhaftes “Wäääh!” brüllte – Zugegeben, das war hauptsächlich dem Salzfischchen zu verdanken, aber auch die Kaper hatte es in sich!
Trotzdem war dieses völlig einzigartige, an nichts Anderes erinnernde Aroma äußerst faszinierend, exotisch und geheimnisvoll.
Und die Mama hat damit zahlreiche Köstlichkeiten gezaubert: vor allem einen legendären Faschierten Braten in Wurzelrahmsauce (Rezept), einen Esterhazy-Rostbraten oder ihren himmlischen Liptauer-Streichkäse. Auch Vitello tonnato (Rezept) war für mich Liebe auf den ersten Biss.
In der Wiener Küche sind Kapern eine wichtige Zutat, obwohl sie in Mitteleuropa nicht wachsen, sondern immer vom Mittelmeer importiert wurden – Knospen von den Sehnsuchtsorten des Südens, wo auch die Zitronen blühen!
Nun hatten wir im vergangenen Juni Gelegenheit, uns mit dem Thema Kapern intensiv zu befassen: Eine kulinarische Kochgenossen-Exkursion führte uns zu sechst nach Sizilien und zu den Liparischen Inseln, wo ja eine der besten Qualitäten produziert wird.
Zunächst war es eine Überraschung, dass die Kapernsträucher praktisch überall wild wachsen, vornehmlich auf alten Gemäuern. Das jährliche Kapernfest auf Salina hatten wir zwar um ein paar Tage verpasst, aber die Sträucher waren noch voll von Knospen und herrlichen Blüten, die in ihrer Eleganz fast an Orchideen erinnern, jedoch hauchzart und kurzlebig sind wie wilder Mohn. Sie überdauern nur wenige Stunden.
Essig geht gar nicht – unbedingt Kapern besorgen, die trocken in Salz eingelegt sind
Geerntet werden die Blütenknospen in den ganz frühen Morgenstunden, bevor sie aufblühen. Frische Knospen schmecken nur grasig und bitter. Ihnen fehlt das typische Aroma völlig, das sich erst allmählich durch Fermentation entwickelt. Traditionell werden sie für einige Monate trocken in Salz eingelegt. Vorher müssen sie ein bisschen welken.
In Mitteleuropa werden meist in Essig eingelegte Kapern angeboten – wir finden, das geht gar nicht! Wir verwenden ja auch keine Essiggurken für Tsatsiki. Also unbedingt Kapern besorgen, die trocken in Salz eingelegt sind! In Wien und Klagenfurt bekommt man hervorragende Salzkapern in der Gewürzhandlung Sussitz (Direktimport aus Pantelleria! https://www.sussitz.eu/de/Eingelegtes-Gemse/Capperi-in-Sale-Marino/). Auch bei Spar haben wir ein brauchbares Produkt entdeckt. Das Salz wird vor der Verwendung gründlich abgespült, aber dann ist das Aroma pur und rein, ohne unerwünschte, zusätzliche Aromen.
je kleiner desto besser
Und noch etwas ist entscheidend für die Feinheit des Aromas – ihre Größe. Dabei gilt: je kleiner desto besser! Die kleinste und teuerste Sorte wird in Südfrankreich “nonpareilles” (ohnegleichen) genannt.
Nicht verwechseln sollte man die Knospen mit den sogenannten Kapernbeeren, denn das sind die Früchte der Pflanze, die vergleichsweise derb und zudem meist in Essig eingelegt sind. Sie sind keinesfalls ein Ersatz. Denn eine perfekte Kaper sollte zart, fein und subtil schmecken.
Kapern niemals kochen
Deshalb sollte man Kapern auch niemals kochen, sondern wie frische Kräuter erst am Ende dazugeben. Denn die wesentlichen Aromen sind ätherische Öle, die sich beim Kochen schnell verflüchtigen.
eine der ältesten Gewürz- und Heilpflanzen der Menschheit
Capparis spinosa ist vermutlich eine der ältesten Gewürz- und Heilpflanzen der Menschheit, die möglicherweise schon vor der Entwicklung der Landwirtschaft konsumiert wurde, denn der Strauch musste nicht domestiziert werden, weil er in Westasien und im südlichen Mittelmeerraum häufig als Wildpflanze vorkommt. Zudem bildet er ständig neue Knospen, die leicht zu sammeln sind. Die Pflanzen sind erfolgreiche Überlebenskünstler und gedeihen in den trockensten und unwirtlichsten Umgebungen. Man findet sie häufig auf alten Gemäuern, so zum Beispiel hoch auf den Mauern des Kolosseums in Rom.
Die ältesten Funde von Überresten der Pflanze als Heilmittel und/oder als menschliche Nahrung reichen fast 10.000 Jahre zurück. Die Kaper wird sowohl im Alten Testament erwähnt (Kapernbeere als Aphrodisiakum: https://www.mechon-mamre.org/p/pt/pt3112.htm#5), als auch im sumerischen Gilgamesch-Epos und in ägyptischen Papyrus-Texten, wo ihre Heilwirkung beschrieben wird. Im antiken Griechenland und Rom wurde sie gegen Blähungen eingesetzt, und als Medizin für Leber, Milz und Darm. Und zur Steigerung der sexuellen Potenz. Heute weiß man, dass sie einen starken antibakteriellen Effekt hat und auch gegen Pilze wirkt. Sogar eine krebshemmende Wirkung wird ihr nachgesagt.
Links und Quellen:
Salzkapern gibt es in Wien, man glaubt es kaum, am Schlingermarkt im 21. Bezirk beim Essiggemüsetandler.
Danke für den Tipp
Bei uns kommen nur die Kapern von sapori eoliani auf den Tisch. Und notfalls, weil evtl. nicht lieferbar und unser Vorrat schon wieder zu Ende gegangen, die gaaanz kleinen Capperi di Pantelleria. 😉 Das hat nicht nur mit dem unvergleichbaren Geschmack zu tun, sondern auch mit dem Aha-Erlebnis! Bis zum Tag X auf Salina habe ich Kapern nicht mal mit dem A… angesehen! Kein Wunder auch bei dem, was die Lebensmittelindustrie mit u.a. diesem Produkt macht! In Essig eingelegt, da schüttelt es einen ja schon beim Gedanken daran! Den Besuch bei Maurizia de Lorenzo wollte ich gar kippen und was Anderes machen an dem Tag. Mitzugehen war eine kluge und gute Entscheidung! Unvorstellbar, welche Aromen bei einer Kapernverkostung zu erleben sind. Und auch, was so alles damit hergestellt werden kann, Marmelade z.B.. Bestellung via Amazon oder dem Eolieshop klappen gut, mein ökologischer Fußabdruck wird davon nicht wesentlich schlechter. Und den Herstellern da ist auf jeden Fall geholfen.
Buon Appetito!
Ich habe erst kürzlich Salzkapern in bester Qualität aus Pantelleria in München (Haidhausen) bei Viani gekauft. Der Chef dort hat mich sofort auf die Seite geholt… und mir in Olivenöl eingelegte Kapernblätter zum Kosten angeboten. WOW! Nix anderes mehr als diese Qualitäten!