Archaisch, wild und vital – ein Traum von einem Markt
So könnte ein Lebensmittelmarkt schon vor Jahrhunderten ausgesehen haben: bunt und laut und scheinbar chaotisch. Die Stände wirken wie mit einfachsten Mitteln improvisiert und es herrscht das Gegenteil der kühlen Sauberkeit eines modernen Supermarkts. Schwere Patina soweit das Auge blickt. Marktschreier, die mit heiserem Sprechgesang die Vorzüge ihrer Produkte rausbrüllen, rhythmisch strukturierend wie Rapper. Und es wimmelt von ausgeprägten Typen wie in einem Mafiafilm aus den 1950er-Jahren.
Wir haben uns sofort verliebt.
Hier gibt es einzigartige Gemüsesorten – zum Beispiel Zucchini, die bis zu eineinhalb Meter lang sind (Lagenaria longissima, Cucuzza longa). Auch die frischen Ranken und Blätter dieser Pflanze werden als Gemüse angeboten. Vermutlich stammt sie aus Nordafrika und ist mit dem ursprünglich in Afrika beheimateten Flaschenkürbis eng verwandt.
Einzigartig ist auch der sizilianische Bergfenchel oder Wildfenchel, der keine Knollen ausbildet, sondern wie Dille als Gewürzkraut verwendet wird. In der sizilianischen Küche spielt er eine zentrale Rolle (z.B. für pasta con le sarde).
Auch der in ganz Italien sehr begehrte Wildspargel wird hier angeboten. Der ist allerdings nicht identisch mit dem, was bei uns fallweise als “Wildspargel” bezeichnet wird. Der hier ist eindeutig “wilder”!
Sizilien ist ein Paradies der großen Meeresfische, besonders in den Monaten von Mai bis Juli. Da ziehen die Thunfischschwärme auf ihren Wanderrouten vor der Nordwestspitze Siziliens vorbei, wo sie seit Jahrhunderten in riesigen Netzanlagen gefangen werden. Die Tiere erreichen ein Gewicht von bis zu 800 kg. Fast ebenso groß werden die Schwertfische, die im Sommer vor den sizilianischen Küsten gefangen werden. Im Frühsommer ist das Angebot auf den Märkten überwältigend.
Eine besondere Spezialität ist auch bottarga di tonno. Das sind die eingesalzenen und getrockneten Eier in Form eines kompakten Blocks, der wie Speck dünn aufgeschnitten oder über Pasta gerieben wird. Normalerweise kommt bottarga von der Meeräsche, hier gibt es sie auch vom Thunfisch.
Sizilien ist auch berühmt für seine Kapern, besonders jene von der sizilianischen Insel Pantalleria vor der afrikanischen Küste, oder auch von den Liparischen Inseln im Nordosten Siziliens.
Fermentierte, in Salz eingelegte Sardellen sind eine der ältesten Umami-Quellen der Menschheit. In flüssiger Form waren sie als Garum eine unverzichtbare Kochzutat der europäischen Antike und sind es noch heute als Fischsauce in Südostasien. Nicht alle Fischsaucen werden aus Sardellen hergestellt, die besten allerdings schon.
Überall am Markt sind Männer damit beschäftigt, die kleinen Salzfischchen zu entgräten.
eine vitale Streetfoodmeile
Zwischen den Obst-, Gemüse-, Fisch-, Käse- und Fleischständen wird überall eifrig gekocht, der Ballarò ist auch eine vitale und sehr archaische Streetfoodmeile.
An mehreren Ständen wird den ganzen Tag lang Oktopus gekocht und von Marktschreiern lautstark angepriesen.
Besonders gut sind auch arancini – große Knödel aus gekochtem Reis, die in der Mitte großzügig gefüllt sind mit Fleischragout oder Gemüse, Ricotta oder Käse, etc. Die etwa orangengroßen Bälle werden dann in Semmelbröseln paniert und in Fett herausgebacken (traditionell in Schweineschmalz, heute meist Pflanzenöl). Ein Arancino ist eine komplette Mahlzeit, die etwa zwei Euro kostet – manchmal sogar noch weniger.
Frittula – das, was bei uns auf jeden Fall ins Hundefutter kommt
Richtig wild wird es beim Angebot an Innereien. Wie in kaum einer anderen Stadt werden Innereien und Schlachtabfälle derart radikal verwertet wie in Palermo (okay, vielleicht kann Neapel mithalten). Vor allem Milz wird in rauen Mengen verspeist, aber auch Lunge, Kutteln, Darm und alles andere auch.
Ein Höhepunkt der kulinarischen Herausforderung ist die frittula. Das sind die allerletzten Schlachtabfälle bei der Fleischverarbeitung, also das, was bei uns auf jeden Fall ins Hundefutter kommt: Flachsen, Knorpel, Sehnen, Fett, Adern und sonstige undefinierbare Bröckerl. Die werden industriell vorgekocht, gepresst und durch Trocknung haltbar gemacht. Am Markt werden sie dann in Schweineschmalz herausgebacken und auf Papier “serviert”. Der Behälter mit der Ware wird dabei ständig gewissenhaft mit einem Tuch abgedeckt und versteckt – vermutlich besser so!
Wir geben etwas beschämt zu, dass es von uns – trotz unserer kulinarischen Neugier – nur einer geschafft hat, eine frittula wirklich zu essen. Erstaunlich ist, dass die allermeisten foddblogger schreiben, dass sie ihnen eh gut geschmeckt hat – offensichtlich ziemlich coole Hunde!
Innereien werden aber auch frisch gegrillt.