Was die Kochgenossen im Kng Tao essen:
- Niang Pi – das mit der Transskription aus dem Chinesischen ist so eine Sache – nie kann man sich sicher sein! Heisst es nun Niang Pi oder Liang Pi? Und das Pi wird doch eigentlich “Pei” ausgesprochen, oder? Jedenfalls handelt es sich um sehr elastische Nudeln, die aus der Trennung von Gluten und Stärke durch Auswaschung eines Weizenteigs entstehen. Am Schluss erhält man einerseits Seitan und andererseits gelöste Stärke, die nach Verdampfung des Wassers eine hautartige Struktur ergibt – eben Liang Pi (oder Niang Pi). Diese Teigstreifen kommen kalt, mit Chiliöl, Sesam- und Erdnußpaste auf den Tisch und sind äußerst köstlich! Hier wird auch der im Prozess entstandene Saitan dazugegeben. Und diese Nudeln haben eine bestimmte haptische Eigenschaft, die man in ganz Ost- und Südostasien liebt: gummig, elastisch und bissfest. In Taiwan wird diese Eigenschaft einfach “Q” genannt. In Europa kennt man dieses Bisserlebnis hauptsächlich von Gummibären.
- Marinierte Rinderzunge – knackig al dente – wie man es in China liebt. Großartig gewürzt!
- Sichuan Chili Wantan – weich-zarte, schlutzige Teigtaschen schwimmen wie Schleierfische in einer Herrlichkeit aus Chiliöl mit Erdnuss- und Sesampasten.
- Grillspieße – man hat hier eine Auswahl von 20 verschiedenen Produkten, die auf kleinen Holzspießchen gegrillt werden – von Hühnerherzen über Karfiolröschen bis hin zu Austern. Allesamt sind von stark salziger Würzigkeit und am besten in Kombination mit einem kühlen Bier. Besonders gut geschmeckt haben uns Schweinebauch, Hühnerherzen, Lammniere(!) und Tintenfischtentakel, die sehr “chewy”, “al dente” oder “QQ” daherkommen. Für Europäer ist das oft irritierend, wird als gummig oder gar zäh wahrgenommen – doch da gibt es was zu lernen! Und wenn man es gelernt hat, versteht man, dass auch “Bissfestigkeit” als Neuland für haptischen Genuss entdeckt werden kann!
- Shui Zhu Niu – wir kennen das Speiseformat Shui Zhu mit Chiliöl schon lange, aber dieses hier ist vielleicht das Allerbeste! Mit butterzart pochiertem Rindfleisch (ja, in China kennt und liebt man unterschiedliche Texturen, von extrem “chewy” bis “auf der Zunge zergehend”). Mit Enoki-Pilzen und Pak Choi. Man möchte förmlich eintauchen in diese würzige Behaglichkeit!
- Rind oder Lamm mit Kreuzkümmel – auch dieses, ohne Sauce gebratene Fleisch mit Unmengen von getrocknetem Chili, Sichuanpfeffer und Kreuzkümmel kennen wir schon ganz gut, aber dieses hier ist zumindest in Wien unerreicht! – Und das will was heißen, denn Wien gehört heute zu den besten Städten für authentisch zubereitetes chinesisches Essen.
Der Widerstand beim Beißen als Genussfaktor
Wien ist seit Mai 2021 reicher um ein weiteres, hervorragendes Restaurant, das sich ganz dem authentisch chinesischen Kochen verschrieben hat. Hier gibt es keine Kompromisse an einen (vermeintlichen) europäischen Geschmack in Form von “8 Schätzen” oder “Curryhuhn”.
Hier kochen gleich 3 Köche aus verschiedenen Regionen Chinas so, wie sie es von Daheim gewohnt sind; und das ist bei fast allen Gerichten sehr gut.
Manche Gerichte können für Neulinge in der Chinesischen Küche wegen ihrer Bissfestigkeit irritierend sein, zum Beispiel die gegrillten Tintenfische. Europäische Kochtraditionen streben seit Langem maximale Weichheit und Zartheit als Optimum an (historisch gesehen auch wegen eines Mangels an Zähnen). Seit Einführung der Sous-Vide-Technik wird das manchmal sogar übertrieben – Fleisch kann auch zu weich sein!
In Ostasien ist das anders. Zwar schätzt man auch hier butterzartes Fleisch, aber nur in bestimmten Zusammenhängen. In anderen Kontexten will man was zum Beissen haben, will einen Widerstand spüren. Das Spektrum der haptischen Genüsse ist viel breiter als im Westen und man kennt viele Abstufungen von “Chewyness” oder “Q”, wie man in Taiwan zu dieser haptischen Eigenschaft sagt: das reicht von weicher Elastizität bis zu fast knorpelharter Festigkeit (das ist dann “QQ”)
Unser erster Tintenfisch in Taiwan war fast ein Schock, denn seine Konsistenz ging in Richtung Autoreifen – aber genauso lieben ihn die Menschen.
Ein weiser Mann in Taipei hat uns das Phänomen der Vorliebe für “Chewyness” so erklärt: Es stamme aus den Zeiten, als es Hungersnöte gab. Wenn man dann doch etwas im Mund hatte, wollte man wenigstens lange daran kauen können.
Über das poppig-bunte Interieur kann man verschiedener Meinung sein – aber das ist auch nicht wichtig. Jedenfalls ist das Kng Tao eines der besten und authentischsten chinesischen Restaurants von Wien.