Was die Kochgenossen im LaoLao essen:
- You Bing – chinesischer “Pfannkuchen” aus geschichtetem Teig mit Jungzwiebel, Ei und Rou Song (Fleischwolle). Ähnlich wie die indische Parotta eine Urform des Blätterteigs: zart knusprig, würzig, köstlich!
- Shaokao Enoki – die äußerst knusprig frittierten Enoki-Pilze sind eine aromatische und haptische Sensation: genial ausgewogen gewürzt, knusprig und saftig zugleich – das muss man probiert haben! Und wenn die Veganer-Szene auf Pilze als Fleischersatz setzt, dann bitte auf den Enoki-Pilz, dessen millimeterdünne Fruchtkörper frappant an die faserige Struktur von Muskelgewebe erinnern.
- Sha La Mu Er – ein knackiger Salat aus Mu-Er-Pilzen mit Sesam, Sellerie und Koriander. Hier erlebt man, was die Chinesen unter “Chewyness” verstehen: man liebt auch Strukturen, die beim Reinbeißen Widerstand leisten. Das Spektrum der haptischen Genüsse ist in China wesentlich breiter als in Europa!
- Liang Pi – auf der Karte mit “kalte Nudelhaut” übersetzt. Es handelt es sich um ein Produkt, das aus der Trennung von Gluten und Stärke durch Auswaschung eines Weizenteigs entsteht. Am Schluss erhält man einerseits Seitan und in Wasser gelöste, reine Stärke, die nach Verdampfung des Wassers eine hautartige Struktur ergibt – eben Liang Pi. Diese leicht gummigen und weichen Teigstreifen kommen mit Gemüse und Koriander in einer himmlisch guten, kalten Sauce. Ebenfalls ein Lernprogramm in Sachen “Chewyness”!
- LaoLao – Rindsuppe mit handgezogenen Nudeln nach dem Rezept der Großmutter: acht Stunden gekochte, milde Rindsuppe mit Rindfleisch, Gemüse und den besten Nudeln weit und breit. Obwohl mit der Hand gezogen, sind sie regelmäßig wie Spaghetti. Aber der haptisch wahrgenommene Unterschied ist gewaltig: Diese Nudeln stehen unter Spannung, erzeuen beim Einschlürfen im Mund eine äußerst geile und spannende haptische Empfindung. Sie sind “lebendig”, während maschinell erzeugte Nudeln im Vergleich dazu “tot” sind.
- Taiwan Hong Shao Rou – eine würzigere Variante der Nudelsuppe nach einem Rezept aus Taiwan. Mit geschmorten, scharf marinierten Rindfleischstücken – Lieblingssuppe der Kochgenossen!
- Niu Chao Mian – gebratene Nudeln mit zartem Rindfleisch vom Ribeye-Steak und knackigem Gemüse. Man kann, wie auch bei den Suppen, zwischen dünnen und breiten Nudeln wählen. Meisterklasse der Wok-Küche!
- Jiao Zi – Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen (Rindfleisch/Jungzwiebel, Huhn/Chinakohl, Garnele/Ei oder vegan mit Shiitakepilzen, Tofu und Gemüse). Diese Tascherl werden erst nach der Bestellung ganz frisch zubereitet – erst dann werden sie nur mit den Händen aus dem Teig geformt, gefüllt und gekocht. Diese Jiao Zi gehören zu den besten, die wir jemals gegessen haben – und zwar inklusive Ostasien!
“Ein Fest der Haptik” oder “Das kulinarische Universum von Qiu Xiaomei’s Oma”
Die junge, in Wien geborene und aufgewachsene Qiu Xiaomei hat alles von ihrer Lao Lao gelernt. So wird in China die Großmutter mütterlicherseits genannt – also quasi die Mama-Oma.
Und Xiaomei (wörtlich “kleine Schwester”) hat eine Menge gelernt! Sie beherrscht die Kunst des Nudel-Ziehens ohne jegliches Werkzeug, nur mit den bloßen Händen. Und ihre Mitarbeiter sind ebenfalls Meister dieser Kunst.
Aber auch all das Wissen über Bekömmlichkeit und Heilwirkung von Essen und Trinken hat sie von der Oma gelernt und hat damit ein kleines kulinarisches Universum geschaffen, das sich in Allem radikal von dem unterscheidet, was man hierzulande vom “Chinesen am Eck” kennt.
Ein Grundprinzip des Hauses ist die kompromisslos frische Zubereitung aller Gerichte – und zwar in reiner Handarbeit! Die Nudeln werden erst dann gezogen, wenn der Gast sie bestellt hat.
Fallweise beschweren sich Gäste wegen langer Wartezeiten. Diese Menschen haben nichts verstanden von wirklich gutem Essen und sollen sich gefälligst an Fertigsuppen aus dem Packl halten und den Kennern das Feld hier überlassen! – Wir haben Geduld.
In der zentral gelegenen Schauküche kann man die Handwerkskunst von allen Seiten beobachten. Es wirkt fast wie ein Zaubertrick, wenn aus einem Teigbatzen blitzschnell Nudeln gezogen werden, die so perfekt rund und gleichmäßig sind wie Spaghetti aus der Packung. Auf Wunsch bekommt man auch flache, breite Bandnudeln, die man optisch für maschinell erzeugte Fettuccine halten könnte.
eine haptisch “auslesbare” Matrix des Herstellungsprozesses
Aber spätestens wenn man diese Nudeln im Mund hat, offenbart sich der gewaltige Unterschied! Der haptische Reiz im Mund ist unvergleichlich, man spürt die Bearbeitung durch die Hände; diese Nudeln “erzählen” ihre Entstehungsgeschichte von Kunstfertigkeit und Hingabe, eine haptisch “auslesbare” Matrix des Herstellungsprozesses. Sie stehen gleichsam unter Spannung, sind lebendig und geil, während die Maschinenware im Vergleich dazu tot ist.
Bleibt noch zu erwähnen, dass jedes Gericht aus einer einzigen langen Nudel besteht.
Fein Essen im europäischen Sinn ist dadurch unmöglich – also ran mit dem Mund an die Schüssel, schlürfen und durchbeißen!
Auch das Interior-Design des LaoLao ist beachtenswert, besonders die schräge Verwendung von Materialien wie Spritzbeton als Verputz und textiles Stahlgewebe (Stichwort Kettenhemd) als Raumtrenner.
Und beim Geschirr ist jedes Stück ein handgefertigtes Unikat, von Xiaomei persönlich in China ausgesucht.
Ein Besuch im LaoLao sollte für alle kulinarisch Interessierten obligatorisch sein. Das Restaurant ist ein Schulbeispiel dafür, wie sehr rein handwerkliches Kochen allem Anderen überlegen ist, und worin die Unterschiede beim Ess-Erlebnis liegen!
Und während andere Gastronomen jammern, dass das viel zu aufwändig und teuer wäre, dass man das entsprechende Personal nicht bekäme und soetwas heutzutage überhaupt nicht mehr möglich sei – ergreift Qiu Xiaomei die Initiative und macht es einfach! Und das zu völlig normalen, moderaten Preisen.
Chapeau, kleine Schwester!