Vor Kurzem sind wir von einer fünfwöchigen kulinarischen Erkundungsreise aus Marokko zurückgekommen. Es war sozusagen der Auftakt der “Kommandosache Marokko”. Hier ist eine kurze Zusammenfassung unserer wichtigsten Eindrücke.
Ein eigenständiges Kochuniversum
Sicher, es gibt auch in Marokko Einflüsse von außen: arabische, osmanische, andalusische, jüdische und afrikanische. Aber die ursprüngliche Küche der berberischen Urbevölkerung, deren Verbreitungsgebiet einst von Marokko über Algerien und Tunesien bis Libyen, und über Mauretanien und Mali bis in die Zentralsahara reichte, ist auch heute noch eine der eigenständigsten der Welt. Viele Produkte sind sozusagen autochthon und kommen ursprünglich nur hier vor. Zum Beispiel Salzzitronen und Arganöl.
Kaum ein anderes Land ist derartig mit einer speziellen Kochtechnik verbunden wie Marokko und die Tajine
In dem speziellen Tongefäß mit der spitzen Kuppel wird einfach Alles zubereitet und oft bekommt man bis zu drei mal täglich eine Tajine. Für Abwechslung ist trotzdem gesorgt, denn es gibt unendlich viele Varianten. Kaum ein anderes Land ist derartig mit einer speziellen Kochtechnik verbunden wie Marokko und die Tajine.
Okay, vielleicht noch China und der Wok – der übrigens ein völlig entgegengesetztes Kochtprinzip repräsentiert, nämlich Garen mit Höchstgeschwindigkeit!
Bei der Tajine jedoch, geht es um das allmähliche Schmoren bei gleichzeitigem Dämpfen. Die spezielle, hohe Form der Kuppel sorgt dafür, dass der Dampf kondensiert und zurücktropft, anstatt zu entweichen.
Das braucht Zeit, dafür kocht sich’s fast von selbst.
Während zwei Wochen waren wir mit Motorrädern im Hohen Atlas unterwegs und waren jede Nacht in einer anderen, oft einsam gelegenen Pension untergebracht. Dort wurde für die wenigen Gäste jeweils nur ein einziges Gericht gekocht.
14 Tage lang haben wir dort tatsächlich ausnahmslos Tajine bekommen, manchmal sogar schon zum Frühstück oder mittags und am Abend sowieso! Aber es ist uns nicht wirklich fad geworden, denn jede war anders.
Jede denkbare Zutat kann so zubereitet werden: Praktisch alle Gemüsesorten, Kartoffeln, Hülsenfüchte, Lamm, Ziege, Rind, Huhn, Pute, Kamel, Oliven, Datteln, Trockenfüchte, Rosinen, Mandeln, Hackfleisch, Eier, Käse, Fisch, Meeresfrüchte, Sardinenbällchen, Oktopus, und und und.
Grundnahrungsmittel Couscous
Das eigentliche Grundnahrungsmittel in Marokko ist natürlich Couscous: ein Hartweizengrieß, der mit Salzwasser angefeuchtet, dann an der Sonne wieder getrocknet, und mit den Händen zerrieben wird. Dieses haltbare Produkt wird traditionell in einem speziellen Sieb-Aufsatz über einem Topf gedämpft, in dem die weiteren Zutaten in einer Bouillon köcheln.
Wie bei der Tajine werden auch für Couscous alle erdenklichen Zutaten verwendet. Fleisch, Fisch, und vor allem viel Gemüse werden üblicherweise in großen Stücken gekocht. Die Gewürzmischung Ras el-Hanout ist dabei unerlässlich.
Um ehrlich zu sein waren wir in Marokko nicht von jedem Couscous begeistert. Besonders in der Gastronomie kann es manchmal auch langweilig und bisweilen trocken daherkommen, weil es in der Tajine serviert wird und kaum Suppe vorhanden ist. Auch die scharfe Sauce Harissa haben wir oft vermisst.
Was ist das Typische an der Marokkanischen Küche, das sie von anderen unterscheidet?
Wenn wir Kochgenossen auf kulinarischen Recherchereisen sind, versuchen wir natürlich mit möglichst vielen kompetenten Menschen in Kontakt zu kommen: mit Foodguides, Köchen und Köchinnen, Gourmets, Hausfrauen, Produzenten und so weiter.
Eine unserer ersten Fragen ist dabei immer die gleiche: “Was unterscheidet deine Küche von anderen? Was ist dabei für dich das Wesentliche?”
Mohamed, unser Foodguide in Marrakech, weiß die Antwort sofort: “Langsamkeit!”.
Und Jasin – begnadeter Koch aus Essaouira – meint, es seien die süßen Fleischspeisen, wie Pastilla, die ein Charakteristikum der Marokkanischen Küche ausmachen.
Langsamkeit und süße Fleischgerichte
Nach 5 Wochen in Marokko können wir beide Beobachtungen nur bestätigen.
Die bei Weitem häufigste Kochtechnik ist das langsame Schmoren der Zutaten in der Tajine – nicht zu verwechseln mit der Tanjia, bei der Fleisch in verschlossenen Tonamphoren, die halb in heißer Asche vergraben sind, stundenlang geschmort wird.
Und für ein Mechoui werden ganze Lämmer – senkrecht aufgespießt – bis zu 24 Stunden lang in riesigen Erdöfen gebraten.
Durch diese speziell langsamen Kochtechniken gelingt Fleisch generell sehr zart, mürbe und saftig. Wir haben noch nirgendwo sonst derartig weiches Fleisch gegessen. Manchmal ist es fast so weich, dass man es löffeln könnte.

Tanjia Marrakchia – butterweich geschmortes Rindfleisch aus der Amphore ist die Spezialität von Marrakech
Auch die Kombination von Fleisch mit süßen Zutaten findet man überall: Huhn mit Honig und Mandeln, Rindfleisch mit Dörrzwetschken (Pflaumen) oder getrockneten Marillen (Aprikosen), Geflügel mit Zwiebel, Rosinen und Sesam, Ziege mit Datteln, und so weiter.
Besonders süß ist die Pastilla, eine spezielle Blätterteigpastete, die traditionell mit Taubenfleisch, Zwiebeln, Kräutern, Safran und gerösteten Mandeln gefüllt wird. Oft bekommt man sie auch mit Huhn. Darüber kommt reichlich Staubzucker und Zimt.
Beim ersten Hineinbeißen ist man unweigerlich an den Wiener Apfelstrudel erinnert.
Interessant ist die Herkunftsgeschichte der Pastilla. Dieses Speiseformat stammt, wie auch sein Name, ursprünglich aus dem südspanischen Andalusien, als es noch al-Andalus hieß und muslimisch war. Es hat sich nach der Reconquista Andalusiens durch die Christen nach Marokko „zurückgezogen“.
Eine Variante der Pastilla hat sich mit den sephardischen Juden und deren Diaspora bis nach Israel, Frankreich und Nordamerika verbreitet. Die Kombination von Fleisch, Zucker und Mandeln war auch in Europa einstmals weit verbreitet, ist aber heute völlig verschwunden.
Diese fein-knusprige Pastete ist mit mehreren, hauchdünnen Schichten Warqa-Teig ummantelt. Er ist dem levantinischen Filo-Teig ähnlich und wird überall in Marokko bei kleinen Marktständen frisch zubereitet.
Der selbe Warqa-Teig wird auch für eine weitere marokkanische Spezialität verwendet: Briouates (sprich Briwat). Das sind kleine, gefüllte Röllchen oder Tascherl, die stark an vietnamesische Frühlingsrollen (Nem) erinnern.
Die Füllungen bestehen häufig aus Lamm- oder Hühnerfleisch, Gemüse, Käse, etc. Die Vielfalt ist groß und alle haben eine köstliche, vielschichtige Knusprigkeit. Sie werden frittiert oder gebacken.
Großmeister der Kekskultur
Natürlich wird in Marokko auch viel Süßes gebacken. Vor Allem sind hier die wahren Großmeister der Kekskultur zuhause. Mandeln, Pistazien und Walnüsse werden hier zu kleinen Kunstwerken transformiert. Das geht weit über das hinaus, was man von Keksen normalerweise erwartet!
Die meist nussigen Süßigkeiten werden üblicherweise zum berühmten Minztee gegessen.
Marokko ist der größte Abnehmer von Grüntee aus der Volksrepublik China
Wenige wissen, dass dessen Basis ein starker chinesischer Grüntee (Gunpowder) ist, der kurz in heißem Wasser zieht, bevor die frischen Kräuter dazukommen. Marokko ist der größte Abnehmer von Grüntee aus der Volksrepublik China.
Das Getränk wurde erst im 18. Jahrhundert im Maghreb eingeführt, ist aber schnell zu dem zentralen gesellschaftlichen Trinkritual geworden. Nicht umsonst nennt man dieses süße Getränk auch “Berber-Whisky”.
Obwohl in Marokko auch Wein angebaut wird, ist Alkohol kein Thema und kaum zu bekommen – man trinkt Tee!
Neben der immer gartenfrischen Nana-Minze (“Nana” ist Arabisch für Minze) kommen aber auch andere Kräuter zum Einsatz: zum Beispiel Wermuth, Eisenkraut und manchmal auch getrocknete Rosenblüten.

Knackfrische Minze und andere Kräuter sind in Marokko eine Lebensnotwendigkeit, die man überall bekommt.

Minztee wird im hohen Bogen eingeschenkt, damit er schäumt. Er wird prinzipiell aus Gläsern getrunken.
Überall wird gegrillt
In Marokko ist aber auch eine “schnelle” Kochtechnik verbreitet. Überall werden über Holzkohle Fleischspieße, Hackfleischbällchen (kufta), Lammkoteletts, Innereien und vor allem die kleinen Lammwürstchen namens Merguez gegrillt, und zwar durchwegs meisterhaft!
Auf Marokkos Straßen und Plätzen wird viel gegrillt. In den alten Medinas hängen bisweilen enorme, duftende Rauchschwaden in der Luft.
Zu Gegrilltem, oder auch als Vorspeise gibt es einen Salat, der auf jeden Fall Tomaten und Zwiebel beinhaltet, oft kommen auch noch Gurken und Paprika dazu.
fein gewürzte Vorspeisensalate
Besonders köstlich sind die fein gewürzten Vorspeisensalate aus gedämpftem oder geschmortem Gemüse. Dabei sind fast immer Karotten, Zucchini, Melanzani, Rote Rüben und Kartoffeln.
gehaltvolle Suppen
Auch Suppen spielen im marokkanischen Alltag eine große Rolle. Allen voran die gehaltvolle Harira. Traditionell wird sie im Ramadan allabendlich als erstes zum Fastenbrechen gegessen, ist aber auch sonst allgegenwärtig. Zum Beispiel bei extrem preiswerten Straßenständen.
Sie besteht in Wesentlichen aus frischen Tomaten, Zwiebel, Linsen und Kichererbsen; oft auch mit etwas Lammfleisch. Gewürzt wird mit Zimt, Kurkuma und Safran. Frischer Koriander und Petersilie werden kurz mitgekocht. Dazu isst man ein süßes, keksartiges Sesamgebäck namens Chebakia und Datteln. Manchmal auch ein hartes Ei.
keine Mahlzeit ohne Oliven
Oliven sind in Marokko präsenter als überall sonst. Ausnahmslos bei jedem Essen kommen Oliven auf den Tisch, sogar beim Frühstück.
Das traditionelle, in der Pfanne gebackene Fladenbrot M’semem wird mit Olivenöl statt mit Butter zum Frühstück serviert. Dazu gibt’s Oliven und Honig.
ausgezeichnete Desserts
Auch ganz ausgezeichnete Desserts sind in Marokko allgegenwärtig. Begeistert haben uns vor Allem die Oranges à la Canelle mit ihrer radikalen Einfachheit: frische Orangenscheiben mit etwas Orangenblütenwasser und viel Zimt.
Auch das hausgemachte Joghurt (eigentlich Saure Milch) namens Raïb ist hervorragend. Man bekommt es bei Straßenständen und kleinen Läden immer frisch in Gläsern um geradezu lächerlich wenig Geld, oft mit Fruchtpürees als Topping. Auch herrliche Puddings und Crème caramel sind weit verbreitet.
Was uns an der Marokkanischen Küche noch aufgefallen ist:
- Wenig Salz – wir haben sehr oft nachsalzen müssen, oft mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Doch in Gesprächen mit Köchen hat sich herausgestellt, dass das so gedacht ist. Man nimmt einfach Rücksicht auf Leute, die wenig Salz mögen. Deshalb stehen auf jedem Tisch Schalen mit Salz und Kreuzkümmel, manchmal auch Pfeffer.
- Wenig Knoblauch – seit Wochen ist uns aufgefallen, dass Knoblauch in Marokko, wenn überhaupt, nur äußerst zaghaft verwendet wird. Das hat uns ein Bisschen irritiert, weil er in den meisten Zusammenhängen wunderbar passen würde. Der Koch Jasin Nhari vom Hungry Nomad in Essaouira erklärt uns dieses Phänomen: Es hat mit der Religion zu tun. Denn ein rechtschaffener Muslim sollte beim Gebet rein und sauber sein, und keinesfalls stinken! Daher existiert für sehr gläubige Menschen ein gewisses Speisetabu für Knoblauch. Besonders in der Gastronomie wird das beachtet. Privat wird meist herzafter gewürzt.
- Kaum scharf – Jasin hat uns bewiesen wie gut etwas frischer Chili zu vielen marokkanischen Gerichten passt. Erstaunlicherweise ist uns Chilischärfe ansonsten nur extrem selten begegnet. Aber vielleicht war das nur Zufall.
- Die Kruste am Boden macht eine gute Tajine aus – das gleichzeitige Schmoren und Dämpfen in der Tajine macht es möglich, dass die Zutaten kontrolliert am heißen Boden anbräunen. Das kann eine herrliche Entfaltung von Röstaromen erzeugen, die die besondere Qualität einer geilen Tajine ausmachen. Wir erinnern uns mit Wonne an eine Oktopus-Tajine mit fast krustig geschmorten Tomaten, oder an Rindfleischstücke mit knuspriger Kruste an der Unterseite. Oft beginnt man eine Tajine damit, dass man zuerst nur Zwiebelringe ohne Fett kräftig anbräunt. Das ist Aromenintensivierung ohne zusätzliche Gewürze!
- Das Essen ist generell leicht und bekömmlich – man isst viel Gemüse und Hülsenfrüchte, getrocknete und frische Früchte, frisch gepresste Säfte und Fleisch meist in sehr mürbem Zustand. Schwere Speisen, die einen auf die Couch pracken – wie etwa ein Schweinsbraten oder Martinigansl in unseren Breiten – haben wir nie bekommen.
- Alkohol kann man sich abschminken – Obwohl in Marokko auch Wein produziert wird, ist Alkohol nur selten zu bekommen. Ausser bei eher teuren Touristenrestaurants und großen Hotels in den Städten muss man auf Wein oder Bier beim Essen leider verzichten. Am Land sowieso.
- Das Brot ist super – es wimmelt von kleinen Bäckern, die hervorragende, kleine Weißbrotfladen backen, die lange frisch und saftig bleiben. Auch gute Baguettes findet man überall.
- Man sollte keine offen stehenden Salate bei Straßenküchen essen – wir sprechen aus Erfahrung, denn nach vielen Jahren hat`s uns wieder einmal erwischt; nicht so schlimm, aber doch! Und wir wissen genau, was es verursacht hat: offen auf der Theke stehende Gemüsesalate, die eh schon einen oxidierten Geschmack hatten und deshalb nur gekostet wurden; aber die paar Bissen haben offenbar genügt. Interessant waren die unterschiedlichen Inkubationszeiten: der erste von uns hatte die Symptome schon nach 24 Stunden, während der letzte erst nach 4 Tagen betroffen war. Wieder was gelernt!