Kochgenosse Manuel Zauner hat vor Kurzem die Familie seiner georgischen Lebensgefährtin im Kaukasus besucht. Und sich nicht entgehen lassen, im Auftrag der Kochgenossen, sozusagen in der „Kommandosache Georgien“ kulinarische Feldforschung zu betreiben. Hier ist eine kurze Zusammenfassung seiner ersten Eindrücke.
Land der Gegensätze
Georgien ist ein Land der Gegensätze. Das wird schon anhand der komplett unterschiedlichen Landschaften deutlich, die man in dem kleinen Land bereisen kann. Georgien ist etwas kleiner als Österreich und hat nichteinmal halb so viele Einwohner.
Es ist nicht weit vom Schotterstrand am Schwarzen Meer zu den Gletschern des Kaukasus, oder von den dschungelhaften Fluss-Canyons in der Landesmitte zu den Halbwüsten an der Aserbaidschanischen Grenze – zumindest per Luftlinie und wenn man den Zustand der Straßen nicht in Betracht zieht.
Anfang der Welt
Die georgische Kultur und Landwirtschaft gehören zu den ältesten der Welt; Weinbau wird hier seit fast 8000 Jahren betrieben und es ist anzunehmen, dass er hier erfunden wurde. Die Georgier selbst sehen in ihrem Land den „Anfang der Welt“. Und das nicht umsonst, denn es ist tatsächlich ein wenig so, als wäre die Menschheitsgeschichte an einem Ort kondensiert.
In den Dörfern nahe des hohen Kaukasus etwa wird man in die Beschaulichkeit des Landlebens vor hundert Jahren versetzt. In der nahe gelegenen Hafenstadt Batumi hingegen kann man derzeit den Wolkenkratzern beim Wachsen – und einer Immobilienblase beim Platzen – zusehen.
Wer einmal durch Georgiens Hauptstadt Tbilisi wandert, wird modernste Architektur neben heruntergekommen Plattenbauten und mittelalterlichen Altstadtgebäuden sehen. Und am Weg von einer Stadt in die andere bewundert man, quasi en passant, tausende Jahre altes Kulturgut und leerstehende Sowjetbauten.
vielfältige Kulinarik
Diese Vielfalt hat sich auch in Georgiens Kulinarik niedergeschlagen. Teile des Landes waren über die Jahrhunderte immer wieder dem Einfluss fremder Kulturen ausgesetzt: den Iranern, Arabern, Türken, Mongolen, Russen. Und die Georgier haben – ganz ihre Art – einige ihrer kulinarischen Traditionen übernommen, ohne dabei je die eigene Identität zu verlieren.
Man wird in Georgien Zubereitungsarten finden, die an Indien oder Nordafrika erinnern; etwa bei der Herstellung von Shotis Puri, dem klassischen georgischen Brot, in einer Art Tandoor, einem beheizten Tonkrug, der in Georgien Tone genannt wird..
Auch das traditionelle Neujahrsferkel wird im Tone zubereitet.
Die durchaus ungewöhnlichen Varianten von Kebabi oder Baklava haben eindeutig türkische Wurzeln.
Pkhali, wunderbar bunte Pasten aus unterschiedlichen Gemüsen und die vielen Speisen mit der Walnusssauce Nigwsiani wiederum erinnern an den Orient.
Und dann gibt es da natürlich ganz typisch Georgisches: Khachapuri, das mit Käse gefüllte Brot, der Bohneneintopf Lobio, die Würzpaste Adschika, oder die mit Fleisch gefüllten Teigtaschen Khinkali.
Tbilisis Märkte und Hinterhöfe
Vieles von dem spiegelt sich in der Hauptstadt Georgiens, in Tbilisi („die Warme“, benannt nach ihren warmen Quellen) wider. Im Herzen der Stadt wird man neben manchmal leider überrenovierten, disneyartigen Altstadtteilen und Touristenzentren auch wunderbar charmante Ecken entdecken können: coole Cafés, die derzeit angesagtesten Techno-Clubs zwischen Ost und West und eine noch kleine Hipster Szene, mit Craft-Beer und allem was dazu gehört.
Was gutes Essen betrifft, sollte man ein wenig Acht geben. Die wirklich guten Lokale und Lebensmittelgeschäfte sind nicht unbedingt jene auf den großen Boulevards und schön renovierten Straßen. Gute Ware findet man eher in den kleinen Hinterhofmärkten und Läden der Wohngebiete.
Dort könne man es sich, so sagte man mir, schlicht nicht leisten, Schlechtes zu verkaufen, denn dort leben die Leute – und die wollen Qualität.
Eine gesunde Portion Mißtrauen hat dennoch jeder Georgier in sich. Auch uns wurde am Markt – trotz einheimischer Begleitung – schlecht gepantschter Wein angedreht. Gottseidank hatten wir auch Chacha (georgischen Tresterschnaps) und der Wein landete schließlich in der Mülltonne.
Wer abseits der Touristenattraktionen einen Eindruck vom Leben in der Stadt gewinnen will, wandert entlang der Akaki Tsereteli Straße vom Elijava Bazaar Richtung Bahnhof zum Dezertirebi Bazaar.
Der Baumarkt Elijava, von den Georgiern gleichermassen geliebt wie gehasst, ist eigentlich eine Blechhüttenstadt. Entstanden ist sie nach dem Bürgerkrieg 1992. Aus der Not der Leute wurde eine Tugend: Man entkernte Autos und verwertete sie stückweise wieder, verkaufte billigen Beton zum Hausbau oder alte Werkzeuge – jede noch so kleine Schraube – egal welcher Automarke oder welchen Jahrgangs – wird man heute irgendwo in Elijava finden.
Gegen den kleinen Hunger isst man mit den Arbeitern gegrillte Kebabi und trinkt selbst gebrautes Malzbier.
Von der Blechhüttenstadt Elijavas durch die Hinterhöfe des Stadtteils Dinamos dauert es zu Fuß etwas mehr als eine halbe Stunde bis man im Chaos des Lebensmittelmarktes Dezertirebi landet – ideal, um in einer der vielen Hinterhofbäckereien frisches Khatchapuri oder Lobiani für den Weg mitzunehmen.
Man wird den Markt schon an seinen Ausläufern erkennen, bevor man eigentlich angekommen ist. Ein bisschen ist es so, als würde er nie beginnen und nirgendwo enden wollen.
Der Dezertirebi Bazaar mit seinen 2000 Quadratmetern ist riesig – und diese Zahl benennt nur den offiziellen Teil. Nach der bitter nötigen Renovierung des zentralen Marktplatzes wichen viele Händler einfach auf nahegelegene Hauseinfahrten und Höfe aus.
Hier wird Georgiens Lage zwischen Orient und Okzident sichtbar. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel, wie hier alles, was das Land in seiner Vielfalt zu bieten hat, angeboten wird:
Kräuter, verschiedenste Unterarten von Walnüssen, Mehl in allen Mahlgraden, Fleisch, Fisch, Innereien, noch einmal Kräuter und natürlich typisch Georgisches: zum Beispiel Jonjoli, die sauer eingelegten Blüten der Pimpernuss, die süß-sauren Saucen aus Tghemali oder bei uns unbekannte Gewürzmischungen wie Khmeli-Sunneli oder imeretischer Safran; und allgegenwärtig Tschurtschchrela, DIE georgische Süßspeise – Nüsse in ausgehärteter Fruchtmelasse.
Die georgische Tafel
Gut Essen und Trinken ist in Georgien im Grunde wirklich einfach. In den Städten gibt es zahllose Restaurants, fantastisches Streetfood oder auch kleine Manufakturen, um zum Beispiel Khinkali mit nach Hause zu nehmen und dort fertig zu kochen. Khachapuri kauft man in den vielen kleinen Bäckereien zum mitnehmen.
Am Land hingegen, wo man tatsächlich nur wenige Gasthäuser finden wird, isst man am besten direkt bei den Gastgebern. Es zahlt sich deshalb aus, kleine Unterkünfte zu buchen und direkt bei den Einheimischen zu wohnen, Gelegenheit dazu gibt es genug.
Am Land ist außerdem jeder, zusätzlich zum normalen Job, auch Kleinbauer. Jedes Haus hat eine Kuh oder Gänse und Schweine, die tagsüber frei im Dorf herumlaufen; für Autofahrer durchaus eine Herausforderung.
In jedem Garten wird Gemüse angebaut und kleinere bis größere Haselnussplantagen gehören zu jedem Hof dazu. Sehr oft wird man daher mit Zutaten aus der eigenen Landwirtschaft bekocht.
Im Magen kommt eh alles zusammen
Hat man Gelegenheit, einer echten Supra – einer georgischen Tafel – beizuwohnen, dann sollte man sich diese auf keinen Fall entgehen lassen.
Da die Georgier ausgesprochen gastfreundlich sind, stehen die Chancen dazu gar nicht mal so schlecht. Bei diversen Anlässen: Hochzeiten, Verlobungen, Familienfeiern oder auch Beerdigungen wird dann nämlich tagelang aufgekocht und womöglich zuvor noch extra geschlachtet. Normalerweise schließen sich die Nachbarsfrauen dann zusammen und teilen die Küche, denn alleine ist die Menge an unterschiedlichen und durchaus aufwendig zuzubereitenden Speisen nicht zu bewältigen. Bei einer Hochzeit können schon mal 300 Gäste zugegen sein. Am Tag des Festes wird dann aufgetischt und zwar alles, was man zu bieten hat gleichzeitig.
Der Spruch „im Magen kommt eh alles zusammen“ könnte georgischer nicht sein.
Eine Besonderheit dieser Festmähler ist, dass es immer auch eine Art Tischvorsteher, einen Tamada gibt. Nur wenn dieser einen seiner möglichst blumigen und herzlichen Toasts ausspricht, darf getrunken werden. Tamada zu sein ist also nicht nur eine Ehre, sondern auch eine gewisse Verantwortung – und erfordert einiges an Trinkfestigkeit.
Was man bei einer georgischen Tafel wunderbar erkennen kann, ist, dass das Land vor allem eines zu bieten hat: großartige Hausmannskost.
Viele Speisen sind eigentlich erst spät an die typische Restaurantküche angepasst und schließlich kanonisiert worden. Am Land und in den unterschiedlichen Regionen weichen die Zubereitungsarten dann oft deutlich von diesen kanonisierten Rezepten ab.
Gekocht wird schließlich auch, was gerade da ist. Wir haben im Nordosten des Landes zum Beispiel sogar eine süße Variante der Khinkali gefunden: mit selbst gemachtem Brombeergelee gefüllt.
Aber auch in Tbilisi gibt es Varianten, die nicht unbedingt der Tradition entsprechen, zum Beispiel Khinkali mit Pilzen gefüllt, damit man auch in der Fastenzeit nicht auf die Köstlichkeit verzichten muss – oder im französischen Restaurant: Khinkali, gefüllt mit Schnecken.
Einige Speisen kurz erklärt:
- Khachapuri – Fladenbrot, mit Imeruli Käse gefüllt (grobporiger, wenig gesalzener Weisskäse). –> Khachapuri Rezeptvideo
- Lobiani – ähnlich wie Khachapuri, aber mit Bohnen und Speck gefüllt.
- Khachapuri Megruli – diese Variante wird zusätzlich mit Sulguni Käse überbacken.
- Atscharuli Khachapuri – Brot-Schiffchen mit Ei und Käse gefüllt, die man beide vor dem Essen mit der Gabel verquirlt.
- Lobio – georgischer Bohneneintopf, traditionell mit Mdschadi, einem Maisbrot serviert.
- Ghomi (sprich: „chromi“) – auf offenem Feuer gekochter Maisbrei, wie Polenta.
- Elarji – derselbe Maisbrei mit Sulgunikäse verkocht (typisch für die Region Megrulien).
- Bashi – eines der vielen Nigwsiani Gerichte (Speisen mit Walnusssauce). Bashi ist eine Variante mit Hühnerfleisch.
- Tghemali – (sprich „tchremali“) – eine oft sehr saure Sauce aus gleichnamigen Früchten, die ein wenig unseren Kriecherln ähneln und in unseren Städten unbekannterweise oft als Zierbaum zu finden sind. Eine seltenere Variante der Sauce, aber ebenso sauer (Sazebeli) wird aus unreifen Weintrauben gemacht.
- Shotis (Tonis) Puri – Brot aus dem Tonofen
- Padrigani – gebratene Melanzani oft in Joghurt, traditionell eigentlich in Walnusssauce mit Granatapfelkernen (Nigwsiani Padrigani)
- Ketri Pamiduris Salata – Gurken-Tomatensalat, typischerweise mit viel Dille, Zwiebel und violettem Basilikum, der wohl am ehesten dem Thai-Basilikum entspricht. Eine Köstlichkeit und bei jedem guten Essen dabei!
- Katleti – klassische Hausmannskost: faschierte Laibchen, mit Kartoffelpüree. Anders als unserer Gewohnheit entsprechend mit viel Koriandersamen und Koriandergrün, rotem Basilikum und Dille gewürzt.
- Mzwane Lobio – „grüne Bohnen“, sprich gekochte Fisolen mit jeder Menge Kräutern und Nüssen
- Pkhaleuli (sprich: „pchraleuli“, wie bei Khinkali) – gekochtes Gemüse (Spinatblätter, Rote Rüben Blätter, Bohnen, Porree, Karotten, etc.) mit Kräutern und gemörserten Walnüssen und dem dabei frei werdenden Öl zu einer Art Pesto verrührt.
- Khinkali – Georgischer geht’s nicht. Mit Fleisch gefüllte Teigtaschen. –> Khinkali Rezeptvideo
- Chweli – Käse. Georgien hat einige wunderbare Käsesorten, die es anderswo so nicht gibt. Etwa Sulguni, ein heller Schichtkäse, aus dem Bergland des Nordwestens, der aus Kuh- oder noch besser aus Büffelmilch-Frischkäse gemacht wird, indem dieser Frischkäse dünn geschnitten wird und dann mit kochender Milch oder Wasser übergossen wird.
- Fleischgerichte – davon hat Georgien eine Menge zu bieten. So etwa das wunderbare im Saft frischer Tomaten geschmorte Miwgsiani Chartscho, eine Art Tomaten-Rindsgulasch mit Walnusssauce oder die köstlich sauren Tschakapuli ebenfalls aus Rindfleisch mit Thremali und dann natürlich die vielen Innereingerichte, wie Kutschmatschi aus „allem was es da drinnen gibt“ oder die deftige Kuttelsuppe Khaschi, die man eigentlich nur verkatert isst. Doch dazu hat man in Georgien viel Gelegenheit, denn Wein und Bier ist man im Kaukasus ganz und gar nicht abgeneigt.
Die Wiege des Weins
Wer den Kaukasus bereist, kommt um ein Thema nicht herum: den Wein. Nirgendwo sonst wird die Geschichte des Landes samt ihrer Brüche gegenwärtiger. Georgien gilt immerhin als Wiege des Weins, es gibt mehr als 400 autochthone Weinsorten, von denen allerdings nur wenige kommerziell genutzt werden und es gibt eine nachweislich jahrtausende alte Weinkultur.
Auch bei westlichen Winzern steht der Kvevris Ghvinho, der Amphorenwein gerade hoch im Kurs. Bei Biowinzern gehört es – wortwörtlich – zum guten Ton, einen original georgischen Kvevri, die klassische Tonamphore und Urform der Weinkunst, im eigenen Hof einzugraben und damit den für Georgien typischen Wein zu machen, den man hierzulande am ehesten Natural Wein nennen würde.
Leider wird bei diesem Thema auch deutlich, wie viel Handwerkskunst während der Sowjetzeit verloren gegangen ist. Quantität stand damals vor Qualität.
Den original Kvevri können heute nur noch fünf Personen im Land herstellen. Gibt es diese nicht mehr, geht eine jahrtausendealte Kultur verloren. Für den langsamen Prozess der Kvevri-Weinherstellung hatte man auch nur Zuhause, im eigenen Hof die Muße. In den Fabriken wurde billiger Fusel für die Massen hergestellt. Auch heute heißt es in Georgien deshalb: Guten Wein kann man nicht kaufen, man macht ihn selber.
Das stimmt zum Glück nur noch bedingt, denn nicht nur gibt es westliche Weinbauern, die mit ausländischem Kapital die alte Weinkultur Georgiens wieder aufleben ließen; es entspräche nicht dem Stolz der Kaukasier, die eigene Kultur in Vergessenheit geraten zu lassen.
Bereist man Kachetien und besucht man das romantisch gelegen Städtchen Sighnaghi, wird man deshalb neben leider auch viel Kommerz und von Touristenbussen überschwemmten riesigen Weingütern fantastische kleine Restaurants und Winzer finden, die einen ungefilterten Amphorenwein anbieten, von dem man im Westen nur träumen kann.