Diese Köstlichkeit ist ein Musterbeispiel für das, worum es uns Kochgenossen bei unserer Forschungsarbeit geht.
Aus einfachen und gewöhnlichen Zutaten wird durch hingebungsvolle und bis ins kleinste Detail präzise Handarbeit ein Genusserlebnis erzeugt, das für uns kulinarisch höher steht, als alles was wir bisher in Haubenrestaurants gegessen haben.
Diese mit brauner Butter beträufelten, schlutzigen, schlipfigen, glitschig-glatten Teigtascherl sind einfach extrem geil! (honi soit qui mal y pense)
Der dünne und relativ feste Teig bildet einen herrlichen haptischen Kontrast zur weichen, aber komplexen Struktur der Fülle, die aus kunstvoll gerösteten Zwiebeln, Blattspinat, Kartoffeln und Bröseltopfen eine aromatische Harmonie der Extraklasse zaubert. Damit das gelingt, sind eine Menge kleinster kochtechnischer Details zu beachten.
die Perlen des Bröseltopfens
Zum Beispiel muss man die einzelnen “Perlen” des Bröseltopfens spüren können. Der Zwiebel muss exakt gleichmäßig geschnitten und aufmerksam geröstet werden, um karamellbraun aber gleichzeitig saftig zu werden. Der feingehackte Knoblauch darf nur ganz leicht angeschwitzt werden, um sich aromatisch einzufügen.
Und man braucht Zeit: der Teig muss rasten – und auch die Fülle, damit die Aromen die richtige Verbindung eingehen.
Zugegeben – es ist viel Handarbeit mit Hingabe und Konzentration nötig, um das Gericht auf den Punkt zu bringen.
Aber wenn man das zu zweit oder dritt gemütlich angeht, mit einem Küchenachterl und guter Musik, ist auch die Arbeit keine Last sondern ein Fest. Man sollte diese Tätigkeit durchaus als Kunst betrachten.
Eigentlich gehört dieses Gericht in zwei Etappen zubereitet: am Vortag den Teig und die Fülle – und erst am zweiten Tag das Falten und Kochen der Teigtascherl. Dann wird der Aufwand überschaubar.
Abkürzungen mit Cutter oder Mixer sind tabu, und der cremige Topfen aus dem Supermarkt geht auch nicht. Es muss schon ein Bröseltopfen sein! In Österreich ist der ja weitgehend erhältlich, aber bei unseren deutschen Genossen dürfte das nicht so einfach sein. (Vielleicht kennt jemand mögliche Bezugsquellen, Tipps sind erwünscht!)
Viele Generationen von aufmerksamen Köchinnen
Selten kommt man zu derart großartigen und präzise ausgearbeiteten Rezepten, denn dieses verdanken wir vielen Generationen von aufmerksamen Köchinnen. Es stammt von Maria Gerner (1920-1994) aus Lienz in Osttirol, die es als Familientradition von Mutter und Oma übernommen und weitergeführt hatte, wurde dann von ihrer Enkelin Okki Zykan und deren Mann Anselm Müller oft zubereitet und bis ins kleinste Detail präzisiert, um schließlich in der Kochgenossen-Küche als Kochvideo festgehalten zu werden.
Es handelt sich um ein spezielles Familienrezept, das auf seine Art ziemlich einzigartig ist, denn die Schlipfkrapfen wurden in Osttirol von Hof zu Hof und Familie zu Familie unterschiedlich gefüllt, nur der dünne Nudelteig war überall konstant.
Pitschen versus Krendeln
Übrigens wird die Technik des Zusammenpressens der Teigränder in Osttirol Pitschen oder Pfitschen genannt. Im Gegensatz zum Krendeln im benachbarten Kärnten legt man dabei Wert auf breite, aber sehr dünne Teigränder – ähnlich wie bei den chinesischen Wantan. Aber mit der Zeit hat sich alles vermischt und heute wird auch in Osttirol oft gekrendelt.
Im Zuge unserer “Kommandosache Teigtascherl” haben wir die halbe Welt bereist und gekochte Teigtaschen von den Alpen bis Ostasien dokumentiert und dabei zahllose grandiose Gerichte kennengelernt, aber diese Schlipfkrapferl der Familie Gerner gehören für uns zu den Allerbesten – sicher unter den Top Five, mindestens!
mehr als eine Mahlzeit
Wie bei vielen bäuerlichen Gerichten der Ostalpen üblich, zahlt es sich aus, gleich mehr zu machen, als man für eine Mahlzeit braucht. Die gekochten Schlipfkrapfen können am nächsten Tag in Butter goldbraun gebraten werden, was ein ganz unterschiedliches Esserlebnis bringt.
Auch sollte man ein bisschen Kochwasser im Kühlschrank aufbewahren, um sie damit später in der Pfanne aufzuwärmen. Ein wenig davon in Kombination mit etwas Butter kann den schlutzigen Charakter auch am nächsten Tag wiederbeleben. Auch eine Kombination von schlutzig und knusprig ist denkbar, wenn man die chinesische Guōtiē- oder Potsticker-Technik anwendet.
Zu diesen Schlipfkrapfen gehören auf jeden Fall eingekochte Preiselbeeren dazu, natürlich aus “Wildfang” und am besten selbst gemacht – mit einem Hauch Zimt.
Zutaten für ca. 80 Stück (ca. 8 Portionen):
Teig:
- 500 g Mehl universal (& Mehl zum Stäuben)
- 2 kleine Eier
- 150 ml lauwarmes Wasser
- 1 Prise Salz
Fülle:
- 250 g Zwiebel (weiß oder braun)
- 250 g Baby-Blattspinat (tiefgekühlt)
- 250 g mehlige Kartoffeln
- 250 g Bröseltopfen (nicht passierter, bröckeliger Quark)
- 1-2 Zehen Knoblauch
- Muskatnuss
- Salz & Pfeffer
- Öl zum Braten der Zwiebeln
- ca. 125 g Butter zum Ausbuttern und zum Bräunen
- Preiselbeermarmelade
Zubereitung:
- 500 g Mehl in eine Schüssel geben, mit der Faust eine Grube in die Mitte drücken, 1 Prise Salz, 2 kleine Eier und 150 ml lauwarmes Wasser hineingeben und mit einer Gabel vermischen
- sobald der Teig kompakter wird, mit den Händen kräftig kneten, bis er eine Kugel wird
- aus der Schüssel nehmen und mit den Händen auf der Arbeitsunterlage kneten, bis er eine feste, kompakte Konsistenz hat
- falls er zu weich sein sollte, etwas Mehl einarbeiten. Wenn er zu fest sein sollte, etwas Wasser
- in Folie packen und im Kühlschrank rasten lassen (am besten über Nacht, aber 1-2 Stunden sollten auch reichen)
- 250 g mehlige Kartoffeln schälen, in grobe Stücke teilen und in Salzwasser kochen
- 1-2 Zehen Knoblauch sehr fein hacken
- 250 g Zwiebel halbieren und in gleichmäßig breite Stücke von 2-3 mm schneiden
- 1 TL Salz in eine heiße Pfanne geben und ca. 2 EL Pflanzenöl, darin bei mittlerer Hitze die Zwiebeln langsam anbraten, oft rühren
- Hitze reduzieren und weiter braten bis sie braun sind, sie sollten aber noch etwas saftig sein. Herausnehmen und beiseite stellen
- 250 g tiefgekühlten Babyspinat in der selben Pfanne langsam auftauen, die Flüssigkeit sollte am Ende verdampft sein. Salzen und erst gegen Ende den fein gehackten Knoblauch dazugeben, der nur kurz ein wenig anschwitzen, aber keinesfalls bräunen soll
- Röstzwiebel sehr fein hacken (Wiegemesser)
- Spinat ebenfalls fein hacken
- gekochte Kartoffeln mit einer Gabel zerdrücken, aber nicht zu fein. Eine gewisse Stückigkeit sollte erhalten bleiben
- Zwiebel, Spinat und Kartoffeln in eine Schüssel geben, salzen, pfeffern, mit Muskatnuss würzen und gut vermischen
- nocheinmal abschmecken, denn die Fülle sollte ziemlich salzig sein
- 30 min ziehen lassen
- erst dann den Bröseltopfen (Quark) dazugeben und zuerst alle größeren Klumpen mit der Gabel auflösen. Die einzelnen, kleinen Brösel sollten aber erhalten bleiben. Erst dann den Topfen behutsam unterheben, damit die Fülle ihre Struktur behält und nicht einfach zu Brei wird
- nocheinmal abschmecken und im Kühlschrank kalt werden lassen, weil sie dann steifer und besser zu verarbeiten wird (So wie den Teig kann man auch die Fülle durchaus schon am Vortag zubereiten)
- Ein Stück vom Teig abschneiden und zu einer Rolle mit knapp 2 cm Durchmesser formen, davon knapp 2 cm große Stücke abschneiden
- diese Stückchen mit dem Nudelholz knapp handtellergroß und sehr dünn auswalzen
- falls der Teig klebt, die Unterlage ganz leicht mehlieren, aber aufpassen, dass kein Mehl auf die Oberseite der Teiglinge gelangt, denn dann würden sie sich schlecht verschließen lasse
- nicht mehr als 12 Stück auf einmal auswalzen (wegen der Gefahr des Austrocknens)
- auf jeden Teigling ein kleines Knödelchen (weniger als ein Teelöffel) mittig platzieren, zusammenklappen und die Teigränder auf der Unterlage fest zusammenpressen (das nennt man pitschen oder pfitschen)
- ein Küchentuch mit etwas Mehl stäuben und die fertigen Krapferl darauf ohne Berührung platzieren, mit etwas Mehl bestreuen und mit dem Tuch abdecken
- darauf kann die nächste 12er-Lage platziert werden, und so weiter (je nach Größe sollte die angegebene Menge etwa 75 bis 90 Schlipfkrapfen ergeben)
- vorsichtig in kochendes Salzwasser einlegen und sanft bewegen, damit nichts festklebt. Nicht zu viele auf einmal kochen, lieber in Etappen arbeiten
- eine Auflaufform ausbuttern und die fertig gekochten Krapferl hineingeben und ebenfalls mit Butter bestreichen, warmstellen bis die nächste Lage dazukommt, usw.
- ca. 100 g Butter in der Pfanne erhitzen, beim ersten Anzeichen von Bräunung kräftig mit dem Schneebesen durchschlagen, sofort vom Feuer nehmen und aus der Pfanne leeren (sonst verbrennt sie)
- die angerichteten Portionen mit brauner Butter beträufeln und mit einem Klecks Preiselbeermarmelade servieren
Jetzt muss ich mich doch einmal bei euch bedanken. Seit Jahren schon bekomme ich regelmäßig bodenständige und exotische Rezepte, auch Restauranttipps (manche leider zu weit weg für mich) — ich möchte euch versichern, dass eure Arbeit sehr geschätzt wird. Ein großes ❣️
Vielen Dank!
Liebe Kochgenossen,
ich bin ein großer Fan von eurem Blog, den Rezepten, Videos, Tipps und Empfehlungen. Vielen Dank dafür!
In diesem Fall muss ich aber entschieden widersprechen: Schlipfkrapfen werden in keinem Fall mit Spinat gefüllt. Ihre Fülle besteht ausschließlich aus gekochten und passierten Kartoffeln, die mit gewissen Zutaten (wie etwa Zwiebeln, Lauch, Knoblauch, Schnittlauch u.a.)
aromatisiert werden können. Das Würzen der Kartoffelfülle ist dabei abhängig von der jeweiligen Tradierung und kann variieren. Mit zusätzlichen Füllzutaten (wie Spinat, Fleisch o.ä.) sind Schlipfkrapfen aber keine Schlipfkrapfen mehr. Das wäre zumindest die offizielle Lehrmeinung in Osttirol.
Mit den besten Grüßen,
Ein roter Nachwuchskochgenosse