Seit mindestens 800 Jahren wird im Landstrich zwischen Po und Apennin dieser einzigartige Käse in praktisch unveränderter Form produziert. Benediktinermönche hatten im 11. und 12. Jahrhundert begonnen, die Po-Ebene wieder landwirtschaftlich nutzbar zu machen, nachdem in den Wirren der Völkerwanderung nach dem Niedergang des Römischen Imperiums das einstmals blühende Agrarland mehr als 500 Jahre lang zu einer undurchdringlichen Wildnis verkommen war.
Wie an vielen Orten in Europa waren es die Benediktiner, die im späten Mittelalter als Pioniere für den Wiederaufbau der Landwirtschaft sorgten. Sie waren es, die wahrscheinlich um 1200 als Erste diesen Käse herstellten, der einmal der berühmteste der Welt werden sollte. Parmigiano Reggiano ist seine offizielle Bezeichnung, da er nicht nur in der Umgebung von Parma, sondern auch in der Nachbargemeinde Reggio nell‘Emilia produziert wird. Sowohl „Parmigiano“ als auch „Parmesan“ sind international geschütze Herkunftsbezeichnungen, die garantieren, dass der Käse aus dieser Region kommt. Und nicht nur das: Die selbst auferlegten Produktionsvorschriften des Consorzio del Parmigiano Reggiano sind äußerst streng.
Die Herstellung ist durchwegs eine handwerkliche, keine industrielle! Alle Futtermittel wie Silage, fermentiertes Futter, Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie und Produkte tierischen Ursprungs sind hier streng verboten, während diese anderswo geradezu die Basis der modernen, industriellen Milchwirtschaft darstellen. Das Futter muss am eigenen Hof produziert werden. Nur 20% dürfen aus der unmittelbaren Region zugekauft werden. Die Milchkühe fressen praktisch nur frisches Gras und Heu bester Qualität von den Wiesen der Emilia. Das ist freilich nur möglich, weil in der wasserreichen Region bis zu vier Heuernten im Jahr eingefahren werden. In trockenen Sommern können hier selbst Heuwiesen künstlich bewässert werden. Ausschließlich melkfrische, unpasteurisierte Rohmilch ist erlaubt. Alle wesentlichen Produktionsschritte in den über 500 Käsereien werden von Hand ausgeführt. Die fast 40 kg schweren „Räder“ bestehen ausschließlich aus Milch und etwas Salz, jegliche Zusatz- und Konservierungsstoffe sind strikt ausgeschlossen. Die Reifung braucht mindestens ein Jahr und kann bis zu 6 Jahre dauern. Kein anderer Käse hat eine so lange Reifezeit und Haltbarkeit. Es gibt verschiedene Reifeklassen:
12 Monate = nuovo
18 Monate = Bollino aragosta (rotes Siegel)
22 Monate = Bollino argento (silbernes Siegel)
24 Monate = vecchio
30 Monate = Bollino oro (goldenes Siegel)
36 Monate = stravecchio
48 Monate = stravecchione
72 Monate = extra stravecchione
Ein natürlicher Geschmacksverstärker
Einjähriger Parmesan schmeckt nach Milch, erinnert an Obst und ist relativ mild. Mit zunehmender Reifung wird die Struktur krümeliger und körniger, der Geschmack würziger. Ab dem dritten Jahr wird das Aroma immer ausgeprägter mit einer Note von Gewürzen und Trockenfrüchten. Auf völlig natürliche Weise entwickelt sich ein Stoff, den die Menschen seit alters her intuitiv heiß begehren: Natriumglutamat. Man weiß heute, dass wir im Mund eigene Geschmackspapillen besitzen, die auf diesen Geschmack reagieren, den die Japaner umami nennen. Technisch hergestelltes Natriumglutamat nennt man Geschmacksverstärker. Ein Zusammenhang, der wahrscheinlich nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass dieser Käse die eigentlich wichtigste Kochzutat in der Po-Ebene ist. Er bestimmt die Basiswürze von Suppen, Pasta, Risotto und Gemüse. Auch bei Salaten, Fleisch und Obst wird er verwendet – oder pur gegessen, mit einem Tropfen Aceto Balsamico tradizionale di Modena.
Spätestens zwei Stunden nach dem morgendlichen Melken kommt die Milch aus der unmittelbaren Umgebung frisch in die großen Kupferkessel der Käsereien. In ihr sind alle natürlichen Inhaltsstoffe enthalten, auch die spezielle Mikrofauna aus Bakterien, die sonst bei modernen Produktionsverfahren abgetötet werden. Gerade sie sind entscheidend für den Reifungsprozess und die Aromenbildung. Für ein Kilo Käse werden 16 Liter Milch benötigt. Für einen ganzen Laib (man sagt hier eigentlich „Rad“) sind das über 500 Liter. Das entspricht in etwa der Monatsleistung einer Milchkuh.
Um die Milch in Parmesan zu verwandeln, ist das Geschick des Käsemeisters ausschlaggebend. Seine Kenntnisse und die von ihm angewandten Verfahren beruhen auf der Erfahrung von Generationen, die fast tausend Jahre zurückreicht. Die Milch wird leicht erwärmt, während eine Kultur natürlicher Milchfermente zugegeben wird, die aus der Restmolke des Vortages gewonnen wird. Die eigentliche Gerinnung wird durch das sogenannte Lab gestartet, ein natürliches Verdauungsenzym aus den Mägen von Kälbern. Durch weitere Erwärmung und Umrühren mit der Käseharfe sinkt die Käsemasse zu Boden und wird händisch mit einem Tuch aus dem Kessel gehoben und halbiert: Aus einem Kesselinhalt macht man zwei Räder Parmigiano Reggiano. Diese Tätigkeit ist seit Jahrhunderten im Grunde völlig gleich geblieben, nur dass heute keine Buchenscheiter unter den blitzenden Kupferkesseln brennen, sondern eine Dampf-Ummantelung für die Wärmezufuhr sorgt.
Nach zwei- bis dreitägigem Rasten werden in die Käselaibe mit einer Matrize der gepunktete Schriftzug „Parmigiano Reggiano“, die Registrierungsnummer der Käserei sowie Monat und Jahr der Herstellung eingeprägt. So kann man später den genauen Produktionsursprung zurückverfolgen. Es folgt ein Bad in Salzwasser, das etwa 20 Tage dauert. Dabei nimmt der Käse die für Geschmack und lange Lagerfähigkeit nötige Salzmenge auf. Anschließend werden die Räder in hohen Regalen gelagert. Der Rest ist Warten.
Die typische Reifezeit dauert zwischen ein und drei Jahren. Junger Parmesan (12 bis 18 Monate) passt zu frischem Obst wie Äpfel und Birnen. Ein perfektes Verhältnis zwischen Würzigkeit und Milde wird nach etwa 22 Monaten erreicht. Über zwei Jahre alter Käse harmoniert mit Fleisch wie Carpaccio oder gegrilltem Roastbeef, kombiniert mit etwas Olivenöl, und als Würze in gekochten Speisen entwickelt er sein volles Aroma. Ganz alte Sorten wie der sechsjährige extra stravecchione sind sehr selten, da nur wenige Erzeuger ihren Käse so lange reifen lassen. Bei dem Erdbeben im Mai 2012 sind in dieser Region Regale mit mehr als 500.000 Rädern Parmesan umgestürzt.
Bei der Qualitätskontrolle spielt die Akustik die wesentlichste Rolle: Die Räder werden mit einem kleinen Stahlhammer angeschlagen und der Käsemeister erkennt anhand des Klangs die innere Beschaffenheit des Käses. Er hört und fühlt mit der aufgelegten Hand die Resonanzschwingungen und spürt damit unerwünschte Löcher und Hohlräume im Inneren auf. Nur makellose Exemplare dürfen als Parmigiano Reggiano verkauft werden. Käse, der nicht nach den strengen Produktionsvorschriften oder außerhalb des DOC-Herkunftsgebietes produziert wurde, heißt Grana Padana. Besonders in der benachbarten Lombardei wird viel davon produziert. Grana Padana muss nicht unbedingt schlechter sein als Parmigiano Reggiano, man weiß aber nicht, wie und aus welchen Rohstoffen er erzeugt wurde.
Parmesan wird nicht geschnitten!
Mit einem speziellen Käsebrecher werden Teile herausgebrochen.
Über warme Speisen sollte er möglichst fein gerieben werden, damit er gleich schmilzt und keine Fäden zieht.
Über Salate und kalte Speisen sollte er jedoch niemals gerieben werden, sondern entweder gehobelt oder einfach mit den Fingern zerbröselt. Ansonsten erzielt man ein ziemlich pappiges Ergebnis.
Die knochenharte Rinde sollte man nicht wegwerfen! Sie eignet sich hervorragend zum Mitkochen bei Suppen und Eintöpfen, besonders bei Minestrone. In einem Behälter im Kühlschrank halten sich die Stücke monatelang.
Einkauf:
Das beste Produkt heisst parmigiano reggiano oder einfach Parmesan. Diese Namen sind welweit geschützt und garantieren ein Produkt aus den Regionen parma und reggio nell`emilia und ein streng kontrolliertes Herstellungsverfahren.
Grana padana ist im Grunde der gleiche Käse, der aber vorwiegend in der benachbarten Lombardei produziert wird. Auch Grana kann hervorragend sein, allerdings sind die Herkunfts- und Produktionsvorschriften weniger strikt.
Parmesan ist der haltbarste Käse überhaupt, man kann ihn in großen Stücken auf Vorrat kaufen. In der Vakuumpackung im Kühlschrank hält er ewig. Wenn die Folie aber einmal geöffnet ist, sollte er offen in einem Kunststoffbehälter mit luftdichtem Deckel aufbewahrt werden. Es zahlt sich aus, bei der nächsten Italienreise einen Jahresvorrat anzuschaffen. Niemals sollte man fertig geriebenen Parmesan kaufen, das ist ein furchtbares Produkt! Parmesan im Stück aus dem Supermarkt ist durchwegs absolut in Ordnung. Wenn man spezielle, lange gereifte Qualitäten möchte, sollte man zu einem Käseladen gehen oder im Internet recherchieren. Wie gesagt, man kann gleich einige ordentliche Stücke bestellen, sie werden nicht schlecht!